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Carl Spitzweg im Museum Georg Schäfer: Die weltweit größte Sammlung seiner Werke

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SCHWEINFURT – Die weltweit größte Sammlung von Spitzweg-Werken im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt umfasst gegenwärtig 290 Gemälde, Aquarelle, Zeichnungen und Collagen. Sie ist seit dem 13. April und noch bis 30. November dort zu sehen.

Sie wurde seit mehreren Jahrzehnten von dem vor einem Jahr verstorbenen Spitzweg-Experten Jens Christian Jensen aufgearbeitet, kommentiert und zu einem Bestandskatalog zusammengeführt. Für die bislang größte Spitzweg-Ausstellung vor Ort, die im Jahr 2002 im damals neu errichteten Schweinfurter Museumsbau stattfand, wurde eine Auswahl aus „dieser größten, in Qualität und in der Vielfalt an Perspektiven einzigartigen privaten Kollektion“ (Jensen) von ihm erarbeitet. Mit der Spitzweg-Präsentation 2014 übertreffen wir – aus rein numerischer Sicht – insofern diese erstklassige Darstellung, als aus dem gegenwärtigen Bestand 171 Werke gezeigt werden. Die davon nunmehr ausgestellten 125 Gemälde repetieren in der Kernauswahl die Tafeldarstellungen im Schweinfurter Bestandskatalog von 2002 mit dessen Nachdruck im Jahr 2014. Dazu gesellen sich 46 Werke aus dem hiesigen zeichnerischen Oeuvre.

Das erste Gemälde von Carl Spitzweg, das der Sammler Georg Schäfer im Jahr 1951 erwarb, führt thematisch weit aus der fränkischen Heimat des Industriellen heraus. Das erste Bild von Spitzweg stellt einen im Winkel eines verfallenen Gemäuers sitzenden Orientalen mit Gebetskette dar. Diese thematische Gruppe der Orientbilder wuchs auf acht figurative Gemälde an, die jetzt zu sehen ist, bereichert durch drei Zeichnungen. Carl Spitzweg ließ sich durch seinen Besuch der Weltausstellung im Kristallpalast in London inspirieren, die eine von der Türkei, Ägypten und Tunesien bestückte orientalische Abteilung enthielt.

Georg Schäfers zweite Erwerbung eines Spitzweg Bildes folgte schon 1952 mit dem Gemälde Der Brunnengast, das sich dem Bildthema des „Sonderlings“ widmet. Hier kommt die Passivität eines Kurgastes im Gegenüber zum lebendig fließenden Brunnenwasser zum Tragen – ein Motiv aus der präsentierten Themengruppe des aus seiner Welt gefallenen Urlaubers, ob liebessehnsüchtig dem Mädchen zuwinkender Uniformierter in dramatischer Berglandschaftkulisse oder tollpatschige Städter als Tourist auf dem Land. Von dem Bild Der Brunnengast ist ein handschriftliches Kurzgutachten des berühmten Kunsthistoriker Hermann Uhde-Bernays aus dem Jahre 1947 in der Gemäldeakte enthalten, das von dem „charakteristischen, schönem Werk des Münchner Genremalers Carl Spitzweg“ spricht.

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In den weiteren Jahren folgen Ankäufe Georg Schäfer hochkarätiger Hauptwerke wie Der abgefangene Liebesbrief und Der Hexenmeister.

Gliederung der Ausstellung
Die Präsentation nimmt folgende Themenkomplexe auf:

A.
Gesellschaftskunde, leise Zeitkritik und Kontrollbilder (Saal 1);
Exotisches – Spitzwegs Phantasiereise in die weite Welt: Orientalische Gesellschaft, Die Weltausstellung 1851 (Saal 2);
Phantasie, Theater, Märchen (Saal 2);
Kopistendasein (2a);
Die Abwertung des Intellektuellen (3a);
Das Pointenbild
Der liebliche Ort (Saal 3);
Persiflage der Kunstgeschichte – Romantik und Barbizon (Saal 3);
Spitzweg – ein romantischer Maler?
Bewährte Themen (Saal 3);
Zitate zu Spitzweg von Jens Christian Jensen (3a) und
Persönliches (3a)

B.
Zeichnung Gemälde – eine kleine Motivkunde (Saal 5)
Frühe Werke – Späte Werke
Landschaft und Naturausschnitte (Saal 6)
Stadtlandschaften (Saal 6)
Nachtstücke (Saal 6)
Spitzwegs Italien (Saal 6)
Spitzwegs Humor und die Sehnsucht nach Liebe (Saal 7)
Das Dirndl, die schöne junge Frau, als Krone der Schöpfung (Saal 7)
Die Lust zu Reisen (Saal 8)
Die Uniformierten – Präsentiert das Gewehr! (Saal 8)
Frömmigkeit (Saal 8)

Aus den Bildakten zu den Gemälden gehen Erwerbungsdaten des Sammlers Georg Schäfer hervor, die vor allem aus den 1950er und 1960er Jahren stammen, ausgenommen die wenigen Zustiftungen nach dem Tod des Industriellen durch die Stiftung. Die Stadt als Träger des Museums Georg Schäfer und die Sammlung-Dr.-Georg-Schäfer-Stiftung haben sich des Themas Provenienzforschung einvernehmlich angenommen. Von den fast 200 ausgestellten Werken sind die Gemälde Reisende Komödianten und Fränkische Landschaft in Diskussion. Endgültige Ergebnisse stehen noch aus.

Die Ausstellung entsteht zu Ehren des Kunsthistorikers und Spitzwegexperten Jens Christian Jensen (geb. in Lübeck am 11. Mai 1928 – gest. am 6. April 2013). Sie
basiert auf seinen Forschungen, die ihn ein Leben lang fesselten.

Der ausgewiesene Museumsmann Jens Christian Jensen, dessen Urteil stets stichhaltig, prägnant und von lebenskluger Weitsicht getragen war, gehört zu den großen Geistern der Kunstgeschichte seiner Generation. Spitzer Humor gehörte zu seinem Wesen – sein Brückenschlag zu dem Künstler Carl Spitzweg, dessen gesamtes Œuvre er dem Publikum und der Wissenschaft erschloss. Er vermochte die große Dimension der Bildwissenschaften abzudecken, ob Menzel, Pollock, Nazarener oder Schumacher.

Georg Schäfer sammelte sowohl das Typische als auch das Besondere. Demgemäß stehen in dieser Präsentation neben den Pointenbildern die Landschaften aus allen Schaffenszeiten, neben populären Bildinhalten seltene, kaum bekannte, neben den sorgfältig durchgemalten Bildern die freien Studien, feinen Zeichnungen und Skizzen.

Das 19. Jahrhundert war das Jahrhundert der Expansion der Presse und der Karikatur, welches Größen wie Thomas Rowlandson und Georg Cruikshank in England, Honoré Daumier, Paul Gavarni und Jean Ignace Isidore Grandville in Frankreich hervorbrachte. In dieser Situation bekannte sich Carl Spitzweg offensiv zur „klugen“ Malerei – politisch ganz ohne umstürzlerische Absicht, im Gegensatz zu manchen seiner ausländischen Zeitgenossen, aber mit versteckter Gesellschaftssatire, die in dieser Ausstellung zu entdecken ist.

Wer Spitzwegs Bildwelt als harmlos und brav-deutsch klassifiziert, kann sich überraschen lassen: Es war einmal (Der strickende Wachtposten), Serenissimus (Er kommt).

Über Spitzwegs Lebenszeit hinaus hält sich wacker die künstlerische Zuordnung seiner Werke zum Deutschen und nicht zum Internationalen, was gerade angesichts seiner Landschaften und der Persiflage der Kunstgeschichte unangemessen ist (z. B. Der Adlerjäger, Die badenden Nymphen). Das Etikett „Hitlers Lieblingsmaler“ beeinträchtigt Spitzwegs Renommee bis heute. Am besten nähert man sich dem Werk Carl Spitzwegs unvoreingenommen.

Franz Carl Spitzweg wurde als zweiter Sohn des wohlhabenden Kaufmanns Simon Spitzweg am 5. Februar 1808 in München geboren. Sein Vater hatte ihn zum Apotheker bestimmt, und der junge Carl fügte sich: 1832 bestand er das Universitätsexamen als Apotheker mit Auszeichnung. Er reiste nach Venedig, Florenz, Rom und Neapel und schon 1833/34 findet man ihn im Kreis Münchner Malerfreunde. Autodidaktisch und unabhängig von der Akademie nahm er seine Ausbildung als Maler selbst in die Hand, wobei er mit den Malerkollegen Eduard Schleich d. Älteren und Bernhard Stange lebenslange Freundschaft schloss. Um 1835 entstehen erste Gemälde. Mit Schleich unternahm Spitzweg über Jahrzehnte zahlreiche Kunstreisen, die ihn nach Oberitalien, nach Wien und Prag, 1851 nach Paris und zur Weltausstellung nach London führten. Seit 1863 lebte er in seiner letzten Münchner Wohnung, Heumarkt 3, bis zu seinem Tod im Jahr 1885.

Als Betrachter lächeln wir über Spitzwegs Darstellungen und Figuren, über die Liebeswerber auf verlorenem Posten, die gähnenden Soldaten im Wachdienst und über die vielen, vielen Sonderlinge. Denn Sonderlinge kennen wir alle. Sie stehen in Spitzwegs Œuvre im wechselvollen Verhältnis zu Privatem und Öffentlichem. Solche Schilderungen machen den Maler bis heute aktuell.

Carl Spitzweg weckt beim Betrachter Verständnis. Ihm wird nahegelegt, ebenso eine Anekdote aus dem eigenen Erfahrungsschatz beizusteuern. Der Maler gewinnt stets mit derselben Methode die Sympathie des Betrachters. Wie ein Regisseur führt er menschliche Unvollkommenheit vor Augen und deckt die kleinen Fehler und Schwächen auf. Sein skurriler Wortschatz bleibt über seine Zeit hinaus übertragbar – und seine Kunst im besten Sinne des Wortes kommunikativ.

Gleich mit seiner frühen Bildidee Der arme Poet aus den 1830er Jahren traf Spitzweg die Gemütslage des politisch frustrierten, verarmten Künstlers. Er selbst erlangte zu Lebzeiten nie den Ruhm eines Eduard von Grützner oder Friedrich Voltz (Das Bild Der arme Poet befindet sich übrigens nicht in der Sammlung, es sind Reproduktionen der Bildfassungen in der Ausstellung vorhanden sowie eine szenische Rekonstruktion).

Heute ist Spitzweg ein Begriff in Deutschland. Diese Bekanntheit setzte nach dem Erscheinen der ersten Monographie im Jahr 1913 von Hermann Uhde-Bernays ein. Mit dem Armen Poeten läutete Spitzweg die Geburtsstunde seiner typischen Bildsprache ein, unter anderem des Kammerstückes. Von Beginn seiner künstlerischen Tätigkeit an hat sich Spitzweg als Fachmaler verstanden. Damit hatte sich für ihn eine Lücke im Geflecht der Spezialisierungen im riesigen Bildermarkt aufgetan. Wie seine Münchner Malerfreunde Eduard Schleich d. Ä., Bernhard Stange, später auch Eduard Grützner, hat Spitzweg intensiv gezeichnet. Seine Studien nach der Natur lieferten ihm einen Fundus für Bildideen.

Die Ausstellung zeigt Spitzenwerke wie Der strickende Wachtposten, Der Bücherwurm, Der abgefangene Liebesbrief, Der ewige Hochzeiter, Der Kaktusfreund und Bilder aus allen Themengebieten des Künstlers und eine Auswahl von Zeichnungen. Ironisch demonstriert er hehre Vorstellungen und ihr Verkommen in der Realität, zum Beispiel in seinen Soldatenszenen:

Bilder von friedlichen Soldaten wie auf dem Gemälde Es war einmal (Der strickende Wachtposten), um 1855, sind in ihrer Aussage bewusst widersprüchlich. Da sitzt er also gemütlich auf seiner grasbewachsenen Bastion, vor schönem weißblauen Himmel. Der Soldat hat sein Strickzeug sinken lassen und lugt dorthin, wo sich links in der Bildtiefe eine beunruhigende Rauchfahne zeigt. Sein Frieden ist gestört, und er mag es kaum glauben. Er springt nicht auf, schlägt nicht Alarm. Er schaut nur, die Hand über den Augen. Hat hier Spitzweg eine Wunschvorstellung seiner Zeit vergegenwärtigt? Appelliert er für eine friedliche Streitmacht, für politische Enthaltsamkeit und friedliches Sich-Einfügen in die Verhältnisse?

Die Wirklichkeit um 1850 sah anders aus: Die 1848er Revolution hatte auch in München ihre Auswirkungen gehabt. Immerhin hatte König Ludwig I. von Bayern abdanken müssen. Zwar gab es keine Barrikadenkämpfe wie in Dresden oder Berlin und keine Gefechte wurden geführt, aber Spitzweg konnten die Reaktionen der Mächtigen – Verfolgungen und Erschießungen – nicht verborgen geblieben sein. Auch später gibt es keine Äußerung des Malers zum Preußisch-Österreichischen Krieg 1866 oder zur deutsch-französischen Auseinandersetzung 1870/71, an der auch bayerische Truppen an vorderster Front beteiligt waren. Er hat kein Schlachtfeld aufgesucht wie sein Malerkollege Adolph Menzel. Von hier aus gesehen sind seine müden Soldaten Verharmlosungen eines kriegerischen Jahrhunderts, bei deren Anblick sich der Bürger über die Tatsache der deutsch-preußischen Großmacht politisch hinwegtäuschen lassen konnte. Es zeigt sich: Spitzwegs Zeitkritik äußert sich hinter vorgehaltener Hand.

Spitzweg gestaltete gerade in seinen Pointenbildern ein Szenario, gestützt auf genaue Beobachtungen von Einzelheiten: Das bekannte Hauptwerk Der Bücherwurm gibt ein Beispiel für seine meisterliche Bildregie. Zwischen dem Schild „METAPHYSIK“, das die Regale unter diesem Begriff klassifiziert, und dem Sternenglobus, zwischen Himmel und Erde, steht der Bibliothekar hoch auf der Leiter.

Es ist ein gefährdeter Stand, denn wir sehen nicht, worauf die Leiter ruht. Es ist eine Bibliothek der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts (in einem Schloss?), also der deutschen Aufklärung, denn ihre Schätze sind systematisch nach Wissensgebieten geordnet. Licht fällt auf die Figur – als leuchtete ein Scheinwerfer. Der Bibliothekar hat sich festgelesen, das Buch dicht vor den kurzsichtigen Augen. Rühren kann er sich nicht, denn ein Buch hat er zwischen die Knie geklemmt; in seiner rechten Hand hält er ein zweites aufgeschlagenes, und sollte er seine Lektüre beendet haben, würde ihm der unter dem Arm an den Körper gepresste Band sicherlich herabfallen.

Ist das ein weltfremder Gelehrter, der nicht rechts noch links guckt, abgeschirmt von der Außenwelt? Ist ein Buchliebhaber dargestellt, der sich völlig zu Hause weiß? Oder sehen wir einen selbstgenügsamen, totalen Ignoranten, der sein persönliches Glück gefunden hat und darum den Betrachter zum Lächeln provoziert? Spitzwegs Pointen sind vieldeutig, nicht simpel. Mit seinem Bücherwurm aus der Zeit um 1850 und seinen Darstellungen von Antiquaren hat er zum einen seiner Liebe zum Buch ein Denkmal gesetzt. Zum anderen nimmt er die verbreitete Kritik an dem weltflüchtigen, verschulten Intellektuellen auf.

Auf dem Gemälde Der Kaktusliebhaber, um 1850, sind es nicht Bücher, sondern die Kakteen auf dem Fensterbrett, denen die ganze Liebe des Büroangestellten gehört. Er steht vor der grauen Wand; oben zeigt die Uhr unerbittlich die verrinnende Zeit an. Er hat sich in seiner Amtsstube geradezu verbarrikadiert. Bücher- und Aktenstapel schotten ihn vom Betrachter ab. Der Festungsplan an der Wand ist ihm gerade recht. Krug und Schüssel machen ihn tagsüber autark, Mantel und Zylinder weisen auf das Nachhausegehen. Durch das oben geöffnete Fenster flutet Licht in die Stube. Es lässt seinen grünen fußlangen Rock aufleuchten und das prachtvolle Rot der Tischdecke, ein Fremdkörper in diesem Büro, der signalisiert: Dieser Amtmann hat Gefühle. Ein Wunder ist geschehen: Dem dicken Kaktus ist – vielleicht nach vielen Jahren – eine rote Blüte entsprungen! Der Schreiber beugt sich dem Kaktus entgegen. Diese innige Beziehung zwischen Mensch und Pflanze ist komisch. Aber sie hat auch einen tragischen
Aspekt, denn wie einsam muss ein Mensch sein, dass er sich stachelige, stumme Kakteen als Objekte seiner Liebesgefühle ausgesucht hat. Spitzwegs Humor ist nicht eindimensional, sondern er lotet in Geheimnissen menschlicher Emotionen.

Die ausgestellten Landschaften weisen Spitzweg als Künstler aus, der die Barbizon-Maler studiert hatte. Ein Meister des Freilichts – obgleich er immer im Atelier gemalt hat. Motiv und Ausarbeitung des idyllischen Bildes Badende Nymphen, 1870/75, finden ihre Vorbilder in Waldlandschaften mit Figurengruppen von Narcisse Diaz de la Peña oder von Jules Dupré. Beide waren mit Werken auf der I. Internationalen Kunstausstellung im Münchner Glaspalast im Jahr 1869 vertreten, Diaz zumal mit Badenden, und Spitzweg wird diese Riesenschau mit 4.500 Kunstwerken eingehend studiert haben. Vielleicht ist deshalb die französische Komponente in diesem Bild besonders deutlich. Eins jedoch hätten die Landschafter von Barbizon-Fontainebleau niemals zugelassen, nämlich dass die Nymphen, die eher Bauerndirnen sind, von Zwergen beobachtet werden und damit Märchenhaftes hineintragen, das die naturnahe Realität von Wald, Gewässer und Figuren stört, ja ironisch in Frage stellt. Das hingegen ist Spitzwegs eigene Zutat. Indem der Künstler den Betrachter über die kleinen Voyeure lächeln lässt, bedeutet er ihm zugleich: Auch der Betrachter ist Voyeur.

Der Entwicklung Carl Spitzwegs kann in dieser Ausstellung nachgespürt werden, zum Beispiel anhand der Figur im Raum. Bis um 1860 sind die Figuren in der Malerei durch ihre Konturen vom Umraum abgesetzt. Dann aber bettet sie die Farbtextur ein. Der Naturforscher in den Tropen, 1835, ist eines seiner frühesten Figurenbilder. Es ist in Linien entworfen, dann hat er die Zeichnung mit Farben illuminiert. In festen Konturen setzt sich also die Figur von dem umgebenden Bildraum ab. Stellt man dieser Arbeit das Gemälde Der Mineraloge in der Grotte, gegen 1880, gegenüber, so ist die malerische Entwicklung erkennbar. Sie beruht nun in den vielfachen Abstufungen der Farben, der ausgeklügelten Bildgestalt und der veränderten Figurenauffassung.

In den fünfziger und sechziger Jahren geht der satirische Aspekt zunehmend in die Idylle auf. Badende am Waldsee oder im Felsennest, Mädchen auf Waldwegen, schlafende Nachtwächter in fahl beleuchteten Städten, Mönche und Eremiten lesen, angeln und spielen selbstvergessen Geige – dies sind Themen der späten Schaffensphase. Ein Lebenszustand in Gelassenheit und meditativer Ruhe wird gefeiert. In diesen Sinnzusammenhang gehören die Orientbilder und die Betenden vor Waldkapellen und Wegkreuzen. Literarische Themen geben Motiven aus Märchen, Sagen und
Bibelgeschichten vor. Die Ausstellung zeigt auch, dass in den sechziger Jahren die Landschaften bedeutsam werden.

Carl Spitzweg war ein der Welt zugewandtes Organisationstalent, sein eigener Galerist und Verkäufer. Zu Lebzeiten verkaufte Spitzweg in Eigenregie annähernd 480 Gemälde, wobei er mit dem Einsatz von Agenten, seiner Kontaktpflege zu den Kunstvereinen in ganz Deutschland und der Werkpräsenz im Ausland bis nach Amerika äußerst versiert und geschäftstüchtig vorging. Mit den Worten des „Dutzenddichters“ Carl Spitzweg gesprochen, zählt die Treue zum eigenen Fach: „Das Schönste, was der Dichter singt./Unmöglich ist’s zu malen/Das Schönste, was der Maler bringt,/Mit Worten nicht zu lallen.“ Trubel und Ablenkungen überließ er gerne anderen.

Text: Sigrid S. Bertuleit

Lebensstationen Carl Spitzwegs:

1808    Spitzweg erblickt das Licht der Welt am 5. Februar als zweiter Sohn von drei Kindern des wohlhabenden Kaufmanns und Magistrat-Rats Simon Spitzweg und dessen vermögender Frau Franziska in München. Das Kind erhält den Namen Franz Carl.
Seine Schulzeit absolviert der Knabe auf dem humanistischen Alten Gymnasium in München (heute Wilhelmsgymnasium) – zunächst als guter Schüler. In den ersten Schuljahren wird ihm „zu große Ängstlichkeit“ attestiert.

1819    Tod der Mutter Franziska, geb. Schmutzer (geb. 1782). Der Vater heiratet noch in demselben Jahr die Schwester seiner verstorbenen Frau, Maria Kreszenzia.

1821    Spitzweg zeichnet eine Vignette auf die Glückwunschkarte für seinen Vater – ein frühes Zeugnis seiner zeichnerischen Neigung.

1825    Spitzweg verlässt vorzeitig das Gymnasium. Der Lehrer hält ihn für „untauglich“ und bescheinigt Zerstreutheit und Gedankenlosigkeit. Mit 17 Jahren beginnt er folgsam nach dem Willen des Vaters die Apothekerlaufbahn als Lehrling in der Königlich Bayerischen Hofapotheke des Dr. Max von Pettenkofer.

1826    Der Vater schreibt an Spitzwegs Bruder Simon in Alexandria: „Karl botanisiert …“

1828    Tod des Vaters (geb. 1776).

1829    Tod des Bruders Simon, der an der Pest in Alexandria verstirbt. Spitzweg wird Provisor an der Löwen-Apotheke in Straubing. Im September reist er nach Venedig und Triest.

1829/30  An der Münchner Universität belegt Spitzweg Chemie, Pharmazie, Mineralogie, Physik, später auch Toxikologie und auch Botanik. Fahrt zum erkrankten Bruder Eduard nach Triest.

1831    Spitzwegs Stiefmutter ehelicht den Kaufmann Hermann Neunerdt. Spitzweg lernt den Landschaftsmaler Christian Heinrich Hansonn kennen, der ihn zeichnet.

1832    Spitzweg besteht das Universitätsexamen als praktischer Apotheker mit Auszeichnung. Reise nach Italien –  u. a. nach Venedig, Florenz, Rom, Neapel. Ein Skizzenbuch entsteht. Broterwerb als Provisor.

1833    Umzug in die eigene Wohnung, Dienergasse 9. Das Wohnhaus gehört seinen Großeltern mütterlicherseits. Carl Spitzweg raucht leidenschaftlich fortan Zigarren. In diesem Jahr leidet Spitzweg an einer Darmerkrankung, die ihn zu einem Kuraufenthalt in Bad Sulz veranlasst. Er entscheidet sich, Maler zu werden.

1835    Mitglied des Münchner Kunstvereins.

1836    Mit Bruder Eduard in Berchtesgaden, Salzburg, Linz und Wien. Wegen der Cholera in München zieht Spitzweg nach Gern.

1837    Spitzwegs erste Fassung des Bildes Der arme Poet entsteht. Er findet damit ein schlüssiges Bildprogramm, das besonders in seinen Pointenbildern zum Ausdruck kommt. Erste Verkäufe.

1838    Im Frühjahr Reise in die Innerschweiz. Reise nach Nürnberg, Regensburg, Eichstätt und Ingolstadt.

1839    Das später so berühmte Gemälde Der arme Poet wird von der Jury des Münchner Kunstvereins für die Ausstellung abgelehnt. Beginn der Bezeichnung seiner Bilder mit Rhombus und dem eingeschriebenen „S“. Er leitet es spöttisch von dem „Spitzweck“, dem rautenförmigen Viererkreuzerbrot ab. Reise nach Dalmatien. Aufenthalte in Franken.

1840    Aufenthalte in Österreich, Reise nach Venedig über Murnau, Meran, Verona.

1841/1843    Reisen in die Schweiz und in die Bodenseegegend. 1842 Reise nach Oberaudorf und nach Österreich-Venetien. 1843 in Zürich.

1844    Mit dem Malern Bernhard Stange und Eduard Schleich d. Ä., seinem besten und lebenslangen Freund, in Partenkirchen. Spitzweg arbeitet als Illustrator für die Fliegenden Blätter (bis 1852).

1845/46  Reise mit Eduard Schleich d. Ä. nach Venedig mit Aufenthalten am Chiemsee, im Zillertal, in Brixen, im Pustertal und in Triest u. a. Im folgenden Jahr wieder in Venedig. 1846 Spitzweg trifft in Meran Bernhard Stange und Eduard Schleich d. Ä.

1847    Freundschaft mit Moritz von Schwind, Treffen in der Münchner Liedertafel.

1848/49  Spitzweg skizziert Bürger-Soldaten und macht sich über diese lustig. Besuch der Schönbornschen Bildergalerie auf Schloss Pommersfelden (wie auch in den Jahren 1852, 1853, 1855 und 1857) zu Studienzwecken und zum Kopieren von Werken (z. B. von Descamps, Isaby, Rubens). 1849 in Prag, Begegnung mit Malerkollegen Josef Mánes, Guido Mánes, Josef Navrátil und August Piepenhagen.

1850    Spitzweg mit Eduard Schleich d. Ä. in Venedig. Er studiert Bilder von Canaletto und Guardi. Er kopiert in der Alten Pinakothek in München.

1851    In Paris mit seinem Bruder Eduard, seinem Malerfreund Schleich d. Ä., den Kollegen August Anton Tischbein, Carl Ebert und Christian Morgenstern. Sie sehen Werke der Barbizon-Maler. Weiterreise mit Schleich d. Ä. zur Weltausstellung nach London. In den folgenden Jahren entstehen Spitzwegs Meisterstücke. Hinwendung zu Landschaft und Idylle. Figuren werden ein Part von vielen im Bildprogramm.

1852-1857    Reisen in die Umgebung von München, nach Berlin, 1856 nach Leipzig und Dresden. 1853 in Pommersfelden mit Schleich d. Ä. und Dietrich Langko. 1857 erneuter Aufenthalt in Pommersfelden zusammen mit Schleich d. Ä. Spitzweg sieht sich „gräulicher Langeweile anheimgegeben“. 1853/54 Cholera-Epidemie in München. Spitzweg geht monatelang aufs Land, Schleich d. Ä. begleitet ihn. 1854 Aufenthalt in Murnau und Schlehdorf u. a. Spitzweg überlebt mehrere Cholera-Epidemien, weil er stets dann München verlässt.

1858    Umzug in die Neuhauser Gasse II/2. Kleinere Reisen u. a. nach Rothenburg o. d. Tauber, Seeshaupt, Nörtlingen, Harburg, Schliersee, Würzburg.

1862    Reisen u. a. nach Wien, vermutlich treffen mit Ferdinand Georg Waldmüller.

1863    Umzug in die Wohnung Heumarkt Nr. 3 (heute St.-Jakobs-Platz). Hier lebt Spitzweg bis zu seinem Tod über den Dächern Münchens. Zum Freundeskreis des alternden Spitzweg gehören der genannte Eduard Schleich d. Ä. (gest. 1874), die Malerkollegen Eduard Grützner, Anton Seitz, der besagte Moritz von Schwind (gest. 1871), der Maler und Schriftsteller Friedrich Pecht, der Kunsthistoriker Hyazinth Holland, der Arzt Dr. B. Unterholzer und der Generalmusikdirektor Franz von Lachner. Besuch von Ferdinand Georg Waldmüller.

Ab 1865/67    Der starke Zigarrenraucher erkrankt an Venenentzündung und kann sommers keine Wanderung unternehmen. Offizielle Ehrungen. Bilder Spitzwegs finden auf der Pariser Weltausstellung 1867 große Anerkennung.

1873/74  Schwere Cholera-Epidemie in München. Sein Freund Eduard Schleich d. Ä. erliegt der Krankheit. Spitzweg flieht nach Tirol.

1879    Friedrich Pecht streicht Spitzwegs künstlerische Leistung in einer Ausstellungsrezension hervor.

1880    Spitzweg verkauft 37 Bilder, die höchste Anzahl, die er je in einem Jahr verkauft hat.

1883/84  Venenleiden. Er kann die Wohnung kaum noch verlassen. 1884 Sein Bruder Eduard stirbt. Besuch Eduard Grützners.

1882    Spitzweg malt Bilder aus der Erinnerung von seinen Wanderungen durch Franken und das bayerische Oberland.

1885    Am 23. September stirbt Spitzweg in seiner Wohnung an einem Schlaganfall. Unter großer Beteiligung der Münchner Künstler und Kunstfreunde wird er zwei Tage später auf dem Südlichen Friedhof beigesetzt.



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