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Arbeitsgruppe „Barrierefreiheit und Inklusion“ zieht erste Bilanz: Gerolzhofen als familienfreundliche Stadt – aber nicht für Menschen mit Behinderung?

Keiler Helles

GEROLZHOFEN – Eine Arbeitsgruppe „Barrierefreiheit und Inklusion“, im Juni 2020 initiiert durch geo-net, hat sich zur Aufgabe gemacht, zu erkunden, wie Barrierefreiheit in Gerolzhofen umgesetzt ist. Mitglieder der Gruppe, teilweise selbst von Behinderungen betroffen, haben stichprobenartig Gerolzhofen unter die Lupe genommen.

Die Arbeitsgruppe zieht Bilanz: „Ein Rundgang durch die Altstadt ist interessant und lohnenswert. Allerdings tun sich für Rollstuhlfahrer und Menschen mit Geh- und sonstigen Behinderungen viele Hindernisse auf, angefangen beim historischen Pflaster auf dem Marktplatz mit seinen unzähligen Stolperfallen über fehlende Absenkungen der Gehsteigen bei Straßenübergängen bis hin zum Fußgängerübergang in der Grabenstraße mit einer relativ kurzen Grünphase. Zudem ist das Blindensignal, als Hilfe für Menschen mit Sehbehinderung außer Funktion. Nebenbei bemerkt sind die Hinweisschilder für Wanderer z.B. am Markt schwer lesbar.

Ein Spaziergang um den grünen Ring durch die Allee, sollte der Erholung für alle dienen. Für geh- und sehbehinderte Personen, ist dieser Spazierweg eher mit Hindernissen gespickt. Kanaldeckel, die ein paar Zentimeter über den Gehweg-Belag herausstehen, sind leider große Stolperfallen, wie auch die Bordsteinkanten an Straßenüberquerungen zum Erreichen der nächsten Allee teilweise zu hoch sind. Der Wassererlebnisweg entlang der Volkach und das Genießen des Bachlaufs wird leider zu keinem zufriedenstellenden Erlebnis, denn er endet für Rollatorfahrer*innen, Rollstuhlfahrer*innen und auch Eltern mit Kinderwagen, jäh an der Treppe zur Schallfelder Straße. Die idyllische Bogenbrücke, vom Parkplatz an der Grund- und Mittelschule, zur Innenstadt ist zu steil geraten. Rollstuhlfahrer haben je nach technischer Ausrüstung ihres Gefährts die Wahl, nach hinten zu kippen oder aufzusitzen. Eher zum Abenteuer wird der Versuch von Personen mit einer Geh- bzw. Sehbehinderung, die Kolpingstraße zu überqueren, um z.B. zu den Einkaufsmärkten in der Frankenwinheimer Straße zu gelangen. Diese Liste ließe sich beliebig fortführen!

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Nicht besser oder schlechter da als vergleichbare Gemeinden

Nun ist es aber nicht so, dass sich in Sachen Barrierefreiheit in Gerolzhofen nichts getan hat: die öffentlichen Gebäude (Rathaus, VG-Gebäude, Polizeiinspektion …) wurden mit Rampen und Aufzügen versehen. In Grund- und Mittelschule wird das sicher mit dem Neu- bzw. Umbau verbunden werden. Insgesamt gesehen steht Gerolzhofen in dieser Hinsicht nicht besser oder schlechter da als vergleichbare Gemeinden.

Auf einen Schildbürgerstreich sei allerdings in diesem Zusammenhang hingewiesen: Warum wurde die behindertengerechte Toilette im Rathaus im Rahmen des Umbaus nicht verändert. Sie ist weiterhin nur durch die Herrentoilette zu erreichen. Was macht eine Rollstuhlfahrerin, wenn sie aus der Toilette will und das Urinal vor der Toilettentüre wird gerade benutzt? Was hilft den Betroffenen die Beachtung der Barrierefreiheit, wenn sie in dieser Art und Weise umgesetzt wird?

Keine*n Behindertenbeauftragte*n

Viele dieser beschriebenen Einschränkungen lassen sich leicht beheben bzw. hätten sich leicht beheben lassen, s. Behindertentoilette im Rathaus, wenn sich der Stadtrat dazu durchgerungen hätte, eine*n Behindertenbeauftragte*n zu ernennen. Dann wäre die Verwaltung schon bei der Planung z.B. bei Reparaturen von Straßen, bei Um- und Neubauten etc. entsprechend kompetent beraten worden. Ein Antrag von geo-net, vom April 2019 zur Bestellung einer/einesBehindertenbeauftragte*n (3 Stunden pro Woche), wurde im November 2019 vom Stadtrat mit 3 zu 16 Stimmen abgelehnt. Die Gemeinde Wipfeld „leistet“ sich sogar drei Behindertenbeauftragte.

Als eines der nächsten großen Bauvorhaben steht die Neugestaltung des Marktplatzes an. Es ist zu wünschen und zu hoffen, dass bei dieser Planung auch an die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen gedacht wird.

700 – 800 Personen in Gerolzhofen betroffen

Bei den beschriebenen Problemen geht es nicht um Sonderwünsche einer kleinen Gruppe von Personen: Etwa 10 Millionen Menschen der Bevölkerung in Deutschland leben mit einer Behinderung: Sie sind seh- oder hörbehindert, sind auf den Rollstuhl angewiesen, benötigen einen Rollator oder andere Gehhilfen oder haben eine andere Art der Behinderung, die man nicht sofort bemerkt. Der Begriff Barrieren, die die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen einschränken, umfasst viel mehr als nur Hindernisse auf den Gehwegen. Umgerechnet würde das für Gerolzhofen ca. 700 – 800 Personen bedeuten.

Im Jahr 1994 wurde der Satz „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ ins Grundgesetz aufgenommen. 2007 ist die Bundesrepublik der UN-Behindertenrechtskonvention beigetreten, die vorschreibt, dass das gesellschaftliche Leben, die Teilhabe aller Menschen (inklusive der Menschen mit Behinderungen) ermöglicht werden muss. In diesen 26 bzw. 13 Jahren hat sich leider noch nicht viel geändert.

Inklusion, das als Schlagwort in vieler Munde, aber als Einstellung leider noch nicht in vielen Köpfen ist, bedeutet, dass sich die Situationen bzw. die Umwelt den Bedürfnissen von behinderten Menschen anpassen müssen und nicht umgekehrt, damit eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich wird.

Inklusion kommt noch viel mehr Menschen zugute: Barrierefreiheit ist für 10% der Menschen in unserer Gesellschaft dringend notwendig, für 30% wichtig und für 100% komfortabel!

Inklusion bedeutet auch als eine wesentliche Aufgabe unserer Gesellschaft den gleichberechtigten Zugang zu unseren Bildungssystemen. Das schließt Kitas genauso ein wie Schule und Ausbildung.

Inklusion zu begrenzen oder auch bei größerem Aufwand nicht weiter zu verfolgen, kann nicht hingenommen werden.“

Fotos: geo-net, A. Burzynski



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