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DenkOrt Deportationen: Erinnerungen an die verschleppten jüdischen Bürgerinnen und Bürger aus dem Raum Schweinfurt

Keiler Helles

LANDKREIS SCHWEINFURT – Unvorstellbares ereignete sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland. Auch in der Region Schweinfurt. Menschen verschwanden aus ihren Heimatgemeinden und kehrten nie mehr dorthin zurück. Sie verschwanden, weil sie dazu gezwungen wurden, ihre Häuser, ihre Wohnungen zu verlassen.

Sie wurden verschleppt, in Arbeitslager gesteckt und am Ende dieser unfreiwilligen Reise wartete meist der Tod. Denn das Nazi-Regime hatte beschlossen, alle Jüdinnen und Juden in ihrem Machtbereich zu vernichten. Und setzte dieses Vorhaben systematisch und in zynischer Akribie um.

Aus dem Raum Schweinfurt waren rund 200 Jüdinnen und Juden, darunter auch Kinder, betroffen. In ganz Unterfranken wurden insgesamt über 2.000 jüdische Bürgerinnen und Bürger in den Jahren 1941 bis 1944 deportiert, nur 63 von ihnen überlebten die Lager. Verschleppt wurden sie in das Außenlager Jungfernhof bei Riga, in die Durchgangslager im Raum Lublin, in das Ghetto Theresienstadt sowie in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz. Zwei Bahnhöfe in Würzburg waren vorwiegend die Orte, an denen die Menschen ihre Reise ins Verderben antreten mussten: Der ehemalige kleine Güterbahnhof an der Aumühle, der sogenannte Aumühl-Ladehof, und der Hauptbahnhof.

Erinnerungen sichtbar machen: Bemerkenswertes Projekt des Vereins DenkOrt Deportationen

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Um die Erinnerung an diese schreckliche Zeit im alltäglichen Leben sichtbar zu machen, hat der Verein DenkOrt Deportationen ein bemerkenswertes Projekt begonnen. Im Juni 2020 wurden am Würzburger Hauptbahnhof 47 künstlerisch gestaltete Gepäckstücke aufgestellt, die 58 jüdische Gemeinden und Wohnorte in Unterfranken repräsentieren. Dieses Jahr im September kamen nochmals 32 Gepäckstücke für weitere 43 jüdische Gemeinden und Wohnorte hinzu. Die Gepäckstücke symbolisieren den Verlust, das Verschwinden von Jüdinnen und Juden und ihrer Kultusgemeinden. Und sie stellen eine Verbindung in die Herkunftsgemeinden her. Denn jedes Gepäckstück – zumeist Koffer, Rucksäcke oder Deckenrollen – wird doppelt hergestellt und einmal am Denkmal und einmal in der Kommune aufgestellt.

Bei der zweiten Eröffnung für den DenkOrt Deportationen im September dieses Jahres nahmen unter anderem auch Landrat Florian Töpper, der als stellvertretender Vorsitzender des Bezirksverbands Unterfranken des Bayerischen Landkreistags die unterfränkischen Landkreise repräsentierte, und die stellvertretende Landrätin Bettina Bärmann teil, die als Bürgermeisterin von Niederwerrn eines der Gepäckstücke am Hauptbahnhof in Würzburg der Öffentlichkeit übergab. Das Gegenstück dazu wird in Niederwerrn am Dienstag, 9. November 2021, der Öffentlichkeit übergeben.

Sinn des Projektes geht weit über geschichtliche Erinnerungskultur hinaus

Töpper und Bärmann sowie auch zahlreiche Bürgermeisterinnen und Bürgermeister aus dem Raum Schweinfurt unterstützen ausdrücklich das Engagement des Vereins DenkOrt Deportationen und setzen sich dafür ein, dass durch die Ausstellung der Gepäckstücke die Erinnerung an die deportierten Jüdinnen und Juden nicht nur symbolisch hochgehalten, sondern tatsächlich gelebt und in der Gegenwart wahrgenommen sowie in die Zukunft getragen wird. Denn aus der Sicht von Töpper und Bärmann geht der Sinn des Projektes weit über geschichtliche Erinnerungskultur und den Verweis auf die dunkle Vergangenheit der jüngeren deutschen Geschichte hinaus: „Wir leben heute dankenswerterweise in einer freien, weltoffenen Gesellschaft, aber wir wissen alle, dass dies keine Selbstverständlichkeit und vor allem kein Selbstläufer ist“, erklären Töpper und Bärmann gemeinsam. „Rassismus, Antisemitismus, Homophobie, Sexismus, Ausländerfeindlichkeit sind massive Probleme, die unsere freiheitliche Gesellschaft auch in der heutigen Zeit bedrohen und unser Wertesystem in Gefahr bringen. Unsere Aufgabe ist es, gemeinsam und geschlossen dagegen zu stehen, wenn wir irgendwo in unserem Umfeld solche negativen Tendenzen wahrnehmen. Dies müssen wir mit aller Kraft und Entschiedenheit tun.“

Landrat Töpper dankt ausdrücklich den Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern und den zahlreichen Ratsmitgliedern im Raum Schweinfurt, die in ihren Gremien die Beteiligung an dem Projekt DenkOrt Deportationen beschlossen und umgesetzt haben.

Kommunen mit jüdischen Bewohnerinnen und Bewohnern und teilweise mit bereits aufgestellten oder vorgesehenen Gepäckstücken sind zum Beispiel Theilheim, Frankenwinheim mit Lülsfeld, Gerolzhofen, Gochsheim mit Schwebheim, Niederwerrn mit Geldersheim, Oberlauringen mit Stadtlauringen, Schonungen, Schwanfeld, Zeilitzheim sowie die Stadt Schweinfurt.

Laut Benita Stolz, der Vorsitzenden des Vereins DenkOrt Deportationen, ist es wichtig, dass weitere Gemeinden und Städte in ganz Unterfranken dazu bewegt werden, an dem Projekt mitzuwirken. „Wir wollen nicht nötigen, sondern überzeugen“, erklärt Stolz. „Dazu ist es notwendig, dass sich die Gemeinden mit dem Projekt identifizieren. Auch Gemeinden ohne eine frühere Synagoge sind gebeten, sich finanziell zu beteiligen, so dass es ein Erinnern von ganz Unterfranken wird. Sie sind alle angeschrieben worden. Wir bieten ihnen auch an, das Projekt beispielsweise in einer Gemeinderatssitzung zu erklären.“

Erinnerungskultur: Der DenkOrt erfüllt mehrere Funktionen. Symbolisch erinnern die Gepäckstücke an die abtransportierten Menschen, ihre Wohnorte und ihre zerstörten Kultusgemeinden. Doch das Denkmal soll auch die Möglichkeit bieten, sich mit dem historischen Geschehen insgesamt und insbesondere in Unterfranken zu befassen. Am Rand des DenkOrts in Würzburg sind deshalb vier Stelen für anschauliche und kurze Informationen aufgestellt worden. Der Betrachter kann sich dort ergänzend über QR-Codes zu einzelnen Orten und die aus ihnen deportierten Menschen informieren

Das funktioniert auch unabhängig vom Denkmal. Auf der Homepage des Vereins DenkOrt Deportationen finden sich im Bereich “Orte & Menschen” biographische Angaben zu allen 2069 direkt aus Unterfranken deportierten Frauen, Männern und Kindern. Sie werden nach ihrem Wohnort im Jahr 1933 angezeigt.

Auch bietet der Verein Führungen am DenkOrt an, die über www.denkort-deportationen.de bestellt werden können.

Im Bild: Landrat Florian Töpper und die Niederwerrner Bürgermeisterin Bettina Bärmann, die auch stellvertretende Landrätin ist, nahmen Ende September bei der zweiten Eröffnungsveranstaltung für den DenkOrt Deportationen am Würzburger Hauptbahnhof teil. Sie stehen vor dem Gepäckstück, dessen Gegenstück am 9. November 2021 in Niederwerrn der Öffentlichkeit übergeben werden soll.
Foto: Stefan Polster



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