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Nächstenliebe kennt keine Grenzen: Diakonie Schweinfurt bezieht Position zu Ankerzentrum und Strömungen von Rechts

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SCHWEINFURT – Ihre Eltern nannten sie Patience (Engl. Geduld), ohne zu wissen, wie wichtig diese Tugend in ihrem späteren Leben noch sein sollte. Auf diesen Namen hört eine junge Frau aus Nigeria. Ein Bus brachte sie aus dem Münchner Raum nach Schweinfurt.

Alle zwei Wochen kamen ab Frühjahr dieses Jahres circa 50 Nigerianerinnen und Nigerianer in die ehemaligen Ledward Barracks, eine Einrichtung, die sich damals noch „Erstaufnahme“ nannte. „Die Aufnahmeeinrichtung in München und ihre Dependance in Fürstenfeldbruck hatten ihre Kapazitätsgrenze erreicht“, erklärt Jacqueline Meyer, betreuende Sozialpädagogin in der Anker-Einrichtung. Sie empfängt derzeit jede Woche fünf bis sieben neue Bewohner. „Bis April nächsten Jahres rechnen wir mit einer Belegung von circa 1200 Personen“, ergänzt sie.

Ein paar hundert Meter Luftlinie von der Anker-Einrichtung entfernt, saßen Mitte Juli Diakonie-Vorstand Pfarrer Jochen Keßler-Rosa, der Leiter der Sozialen Dienste Uwe Kraus und seine Stellvertreterin Helmtrud Hartmann mit einem Kreis von ehrenamtlich Mitarbeitenden am runden Tisch. Sie diskutierten über die Form der Botschaft, die sie als Diakonie den verschiedenen Interessensgruppen vermitteln wollen. Der fremdenfeindlichen Stimmung innerhalb der Gesellschaft etwas Positives entgegen setzen – das ist das Ziel. In „Sieben Schweinfurter Sätze“ haben sie diese Aussagen gebracht, die mittlerweile 400 Menschen unterschrieben haben – darunter auch Präsident der Diakonie Bayern Michael Bammessel und Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter. „Wir als Wohlfahrtsverbände sind für Menschen da ­– für Menschen in Not, Angst und Elend. In keinem unserer Leitbilder gibt es eine nationale oder kulturelle Grenze“, sagt Keßler-Rosa und betont: „Kriterium für unseren Dienst ist allein die Frage, ob jemand Hilfe braucht – für Leib, Seele oder beides.“

Wer in der Anker-Einrichtung lebt, ist zur Untätigkeit verdammt

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Herkunft spielt für Menschen wie Patience dagegen eine zentrale Rolle. Es entscheidet über das Schicksal von Millionen Geflüchteter und Migranten. An der Herkunft stellen sich die Weichen, ob jemand eine „Bleibeperspektive“ hat, demnach eine geregelte Arbeit aufnehmen darf oder nicht. Als Dublin-Fall hat Patience keine „Bleibeperspektive“. Dieses Schicksal teilt sie mit dem Großteil von fast 800 Menschen, die momentan in der Anker-Einrichtung leben. Eine Abschiebung in ihr Herkunftsland hat sie nicht zu befürchten, aber sie weiß, dass sie wohl bald nach Italien überstellt wird. In Italien kam sie an. Nach der Dublin-III-Verordnung ist jenes Land für das Asylverfahren zuständig, welches ein Migrant als erstes betritt. Höchstens zwei Jahre wird sie in der Anker-Einrichtung bleiben.

Anstatt wie andere Frauen Mitte Zwanzig einer geregelten Arbeit nachzugehen, besucht sie vormittags einen Erstorientierungskurs der Johanniter. Sie hatte Glück, überhaupt einen Platz zu bekommen, denn die Warteliste ist lang. Der Kurs dauert vier Stunden; danach schlägt sie die Zeit tot. Wer in der Anker-Einrichtung lebt, darf weder eine Arbeit, noch ein Praktikum aufnehmen. „Untätigkeit in Verbindung mit fehlender Lebensperspektive bilden eine gefährliche emotionale Mischung“, meint Keßler-Rosa. Zudem sollte nach individuellen Kriterien entschieden werden, ob jemand einen Sprachkurs besuchen oder eine geregelte Arbeit aufnehmen dürfe.

„Arbeitsmigration“ und „Asyl-Tourismus“ sind Schlagworte, mit denen Vertreter einer bestimmten politischen Richtung gegenüber Menschen wie Patience polemisieren. Doch wie viele ihrer Landsleute ist sie nicht nach Europa gekommen, um Asyl zu beantragen. Eine Arbeit als Hausmädchen hat man ihr versprochen. Sie landete in der Zwangsprostitution. Sorge und Furcht um die Familie in Nigeria ließen sie in der Situation verharren. „Wir sollten nie vergessen, dass wir nicht „(Wirtschafts)-Flüchtlinge“, „Asylanten“ oder „Migranten“ vor uns haben, sondern Menschen, die aus guten oder eben schlimmen Gründen politischer, wirtschaftlicher oder ökologischer Art ihre Heimatländer verlassen müssen und die darauf vertrauen, dass sie human behandelt werden“, meint Matthias Seng, der den Helferkreis in Gerolzhofen koordiniert.

Angst vor Abschiebung verursacht psychische Probleme

Nachts kann Patience nicht schlafen. Im Frauen-Gebäude ist sie als Alleinstehende zwar sicher, da der Eingang durch einen Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes überwacht wird. Aber sie hat Angst. Angst vor der Polizei, die plötzlich vor ihrem Bett steht und sie auffordert, ihre Sachen zu packen und ihr zu folgen. „Das ist für die Bewohner sehr schlimm“, sagt Meyer und erzählt: „Die Ambulanz für seelische Gesundheit hat mitgeteilt, dass nach jeder Überstellung viel mehr Klienten zu ihnen kommen. Diese erneut traumatisierenden Ereignisse lösen psychischen Stress und Ängste aus.“

Wohlfahrtsverbände wie das Diakonische Werk sind auf Spendengelder angewiesen. Stehen kirchliche Träger nicht in einer Diskrepanz, wenn sie sich politisch äußern? „Solche Überlegungen beeinflussen keineswegs unser Handeln und unsere öffentlichen Äußerungen, entgegnet Keßler-Rosa. „Das, was uns antreibt, ist nicht Geld, sondern unsere christliche Motivation.“ Das sind deutliche Worte. Kirchliche Verbände und Organisationen beziehen Stellung, äußern sich öffentlich und beziehen politische Position. „Es ist an der Zeit, dass wir laut werden“, fordert der Würzburger Hochschulpfarrer Burkhard Hose in seinem Buch „Seid laut“ all jene Menschen auf, die aus christlichem Antrieb für andere einstehen, christliche Werte in der Gesellschaft verteidigen und dabei Mitmenschen anderer Glaubensrichtungen und Herkunftsländer einbeziehen.

Heiko Kuschel, Pfarrer der Evangelischen Citykirche Schweinfurt und Leiter des Schulreferats des Dekanats Schweinfurt, stimmt dem zu: “Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, Flagge zu zeigen – ob im normalen Gespräch, auf Facebook oder Twitter.“ Als Beispiel nennt er die Katholische Stadtkirche Frankfurt. Sie hat Bibel-Zitate wie „Das gleiche Gesetz und das gleiche Recht sollen gelten für Euch und für die Fremden, die bei Euch wohnen (Num. 15,16 )“ oder „Alle Nationen sind vor Gott wie ein Nichts, für ihn sind sie wertlos und nichtig (Jes. 40)“ auf Postkarten und Bierdeckel drucken lassen. Über diesen steht in dicken Lettern „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen.“

Die „Sieben Schweinfurter Sätze“ samt Unterschriftenliste können Interessierte im Internet abrufen unter:
https://www.soziale-dienste-schweinfurt.de/sieben-schweinfurter-saetze/

Rücksendungen bitte an: haase@diakonie-schweinfurt.de

Text: Arwen Haase
Auf dem Bild das Anker-Einrichtung Schweinfurt: Wer hinter diesen Mauern lebt, kennt sein Schicksal.
Foto: © Johannes Hardenacke

 



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