SCHWEINFURT – Vom 5. Mai bis 20. Oktober 2013 lädt das Museum Georg Schäfer ein zur neuen Ausstellung „Künstler sehen Bayern – Bayern lässt staunen“. Zu sehen sind Gemälde und Graphik aus dem 19. Jahrhundert. Wir haben die herrlichsten Gegenden … in Bayern, so beteuerte Lorenz von Westenrieder schon in der Zeit der Aufklärung, hier im Jahr 1782, um Künstler anzuregen, das Schönste der Natur vor Ort zu sammeln. Aus konservatorischen Gründen werden die Arbeiten auf Papier in zwei Chargen gezeigt: erste Präsentation vom 5. Mai bis 28. Juli und zweite Präsentation vom 1. August bis 20. Oktober.
Die bayerischen Landstriche könnten Italien als Impulsgeber eines malerischen Motivschatzes sehr wohl standhalten. Ganze Generationen von Landschaftsmalern verwirklichten im Laufe des 19. Jahrhunderts, in die bayerische Natur zu gehen, zu zeichnen, Motive zu sammeln und gegebenenfalls zu malen – von den ersten Wegbereitern der Münchner Landschaftsmalerei mit Georg von Dillis und Wilhelm von Kobell über die Schaffenden der Jahrhundertmitte mit dem erzählenden Carl Spitzweg und dem Stimmungslandschafter Eduard Schleich d. Ä. (Säle 2, 6). Die individualistische Landschaft, samt Blick auf den Menschen, wird zum Ende des Jahrhunderts von den Einzelgrößen des Wilhelm-Leibl-Kreises bis hin zu dem Chiemgau-Künstlerkolonisten Josef Wopfner und dem Spätwerk-Existentialisten Josef Wenglein geprägt (Säle 1, 6).
Als Besucher dieser abwechslungsreichen Sonderausstellung, die gleichermaßen Tiefsinn, Nahsicht und Fernblick, Lebenslust und Humor berührt, reisen Sie mit den Werken der Sammlung Georg Schäfer durch gemalte Landstriche und Orte Bayerns: über München hinaus nach Dachau, Langenfreising, Harlaching, Starnberg, Planegg, Oberaudorf, Mittenwald, über Würzburg, Nürnberg, Wertheim, Coburg, Bad Kissingen, Rothenburg o.d. Tauber, Bad Tölz, Feilnbach u.a. Die Beurteilung Bayerns aus dem Munde des Hamburgers Christian Morgenstern, ein Talent und Inspirator der Münchner Landschaftsmalerei, klingt lebenspraktisch: In Bayern lebt es sich sehr angenehm und billig, ein gemütliches Volk und schöne Orte, wie man sie nicht so leicht findet…
Zahlreiche der ausgestellten Werke sind der sogenannten Münchner Schule zuzurechnen, die thematisch über Landschaft hinaus Genre und Portrait einbezieht. Die Bedeutung der Münchner Schule macht gleichwohl aus, dass sie Einflüsse europäischer Malerei aufzunehmen vermochte. Da in der Süddeutschen Malerei ein wesentlicher Schwerpunkt der Sammlertätigkeit Georg Schäfers (1896-1975) liegt, ist es dem Museum möglich, die ausgestellten über 120 Gemälde, Zeichnungen und Druckgraphiken aus dem Bestand zu schöpfen, bereichert um Einzelwerke aus Privatbesitz. Die ausgestellten Werke stecken eine weite Zeitspanne von 1794 bis 1923 ab. Photographien aus dem Archiv des Deutschen Alpenvereins um und nach 1900 akzentuieren überdies die topographische Dimension der Berg- und Seenwelt Bayerns. Künstler sehen in unterschiedlichen Stilismen Watzmann, Benediktenwand, Wendelstein, Kampenwand, Hochfelln und Hochgern, Göll, Wettersteingebirge, Karwendel- und Kaisergebirge (Saal 3, 5). Fast magisch zieht es die Landschafter an die Ufer der bayerischen Seen. In der Ausstellung finden Sie Interpretationen, häufig in mehrfacher Blickführung, vom Starnberger See, Tegernsee, Ammersee, Chiemsee, Walchen- und Kochelsee, Schliersee u. a. (Saal 1, 8). Staunenswertes wird im Dokumentationsraum erfahrbar – so, dass die Landschaftsmalerei als Lehrfach an der Akademie der Bildenden Künste 1826 aufhörte zu existieren. Für die Künstler hieß es: Mach es selbst! Und heute?
Saal 1
Gespürte Existenz
in Landschaft und Portrait um 1900
München leuchtete – dies ist der Sprache gewordene Glorienschein, der sich über die kulturpralle bayerische Metropole der Jahrhundertwende legt. Thomas Mann jauchzt förmlich in seiner Novelle Gladius Dei: Die Kunst blüht, die Kunst ist an der Herrschaft, die Kunst streckt ihr rosenumwundenes Zepter über die Stadt hin und lächelt. Eine allseitige respektvolle Anteilnahme an ihrem Gedeihen, eine allseitige, fleißige und hingebungsvolle Übung und Propaganda in ihrem Dienste, ein treuherziger Kultus der Linie, des Schmuckes, der Form, der Sinne, der Schönheit obwaltet … München leuchtete. Der Kunstkritiker Friedrich Pecht terminiert den künstlerischen Höhepunkt noch früher, mit um 1885. Nach seiner Einschätzung zähle München Dank der Volkstümlichkeit der Kunst mehr Künstler als Berlin und Wien zusammen. Alle kann München gleichwohl nicht halten: Wilhelm Trübner, Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Slevogt, Wilhelm Leibl mit Malerfreund Johann Sperl kehren München den Rücken zu. Zum Ende des 19. Jahrhunderts erreicht die Münchner Malerei in Landschaft und Portrait eine Tiefsinnigkeit, eine Dimension von gespürter Existenz, die im Fin de Siècle in der Luft liegt. Die psychologisierte Seelenlandschaft – eher fern eines Hoffnung gebenden Pantheismus – stellt das neue Sehvermögen dar. Es klingt eine Seite bayerischer Malerei und Erkenntnis an, die staunen lässt (Saal 1):
Mit dem autonomen Geist Josef Wenglein schließt sich der Kreis der Münchner Landschafts-malerei turbulent. Vormals war die Naturbetrachtung in der ersten Hälfte des Jahrhunderts eher durch eine anschauliche Haltung von Johann Georg Dillis, Eduard Schleich d. Ä. und Adolf Lier geprägt (siehe: Ständige Sammlung), bereichert von Impulsen nicht-süddeutscher Künstler, von Schweizern bis Norwegern. Vor und um 1900 bricht sich eine neo- bis pseudoromantische Monumentalität Bahn, die Landschaft in ganzer Härte zeigt und in Stilisierung übergehen kann, wie bei Toni Stadler. Dass wiederum ein Lier mit Wenglein jahrelang eng zusammenarbeitete, ist seinen späten Werken nicht mehr anzumerken. Trumpfkarte Wengleins und der hier versammel-ten Könner ist die individualistische Landschaft, bei Leibl das sensualistische Portrait. Abseits des städtischen Getriebes finden sie alle ihren eigenen Weg. Wenglein, der auffällige Interpret der Isarlandschaft, der in der Gegend von Bad Tölz, um Grünwald und Thalkirchen arbeitete, eskaliert in seiner dramatischen Landschaftssprache und entwickelt eine lichtvergessene, starre Zone. Josef Wopfner, Mitglied der Chiemseemaler-Kolonie, bleibt dicht beim Menschen. Er unterstreicht gleichfalls die große Dimension der Natur bei genremäßiger Motivsuche.
Dass die bayerische Landschaft mehr ist als eine Abfolge von Naturmotiven, Seen, Gegenden und Orten – gliederbar nach Ideallandschaft, romantische Ausdrucklandschaft, Idylle, intime Landschaft, naturalistischer Blick, Stadtansicht oder Naturimpression –, zeigt ihr Bedeutungshorizont, der über ein Wo? Wie? zum Warum? kommt.
Josef Wenglein (München 1845 – 1919 Bad Tölz)
Voralpenlandschaft mit Moorsee, wohl um 1895
Öl auf Leinwand, 105 x 143,5 cm, Bez. rechts unten: J. Wenglein München 1870 (Datierung fraglich), Inv.Nr.: MGS 5351, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Josef Wenglein zelebriert die Landschaft. Ihre Abbildbarkeit übersetzt er in absolutistische Sphären. Als unumschränkte Herrscherin steht diese Natur wie ein kolossaler Wall vor dem Betrachter: unheimlich, tiefsinnig und unergründlich. Der Vertreter der ausklingenden Münchner Schule in der Nachfolge von Lier und Schleich verfügt in einzelnen Werkfolgen über ein Bildvokabular, das eine mystifizierte Urlandschaft inszenatorisch zur Schau stellt.
Sie sollen ins Staunen versetzt werden! Wenglein kreiert in diesen Werken einen expressiven Sensualismus, der zu mehreren Variationen von Hochmoorlandschaften in seinem Oeuvre führt. Die Komposition ist in drei Teile gegliedert: in die fahl gehaltene Moorseezone, in das tiefenlose Schattenreich der Bergzüge und in die bewegte Himmelslandschaft. Hinter der schwarzen Wand der Berge lugt der Ansatz eines stumpfen Gipfels hervor. Melancholisches Dunkel entweicht aus dem Moorsee selbst, der wie ein schwarzes Loch den Blick aufsaugt. Hier hat die Landschaft aufgehört zu atmen. Ihre Vegetation ist karg, das Geäst am Ufer kahl. Da wirkt der Greifvogel im tiefen Flug wie eine Erscheinung. Selbst der tosende Wasserfall links scheint verstummt.
Überraschend blitzt eine hellgrün gehaltene Hangfläche auf, vom umgebenden Dunkel marginalisiert. Majestätische Aura spendet der Erdgrund. Und Wenglein entgegnet mit der oberen Bildhälfte in neuem, grob abgeflachten Duktus: Die eigentliche Kraft und Bewegung kommt vom Himmel: Die bayerische Landschaft im Fieber.
Josef Wopfner (Schwaz/Tirol 1843 – 1927 München)
Der letzte Einbaum, 1887
Öl auf Leinwand, 39,5 x 69,8 cm
Bez. rechts unten: J. Wopfner Der letzte Einbaum/Fraueninsel 87, Inv.Nr.: MGS 5047,
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Vier Jahre nach seinen großen „Heiligenbildern“ Abendläuten und Ave Maria entsteht Josef Wopfners radikalstes und puristisches Motiv: Der letzte Einbaum – ein Seelenbild, das die psychologische Ebene des Über-Ichs vorwegzunehmen scheint. Unbefestigt dümpelt das holzgeflickte und von Gebrauchsspuren gezeichnete Gefährt unbemannt vor sich hin, dunkle Schatten vor sich werfend, hinter sich die Unendlichkeit der leblosen Stille des Gewässers. Der Kunsthistoriker Bruno Bushart überlieferte einen Satz zu diesem Unikat, der es in sich hat: „Die Beschränkung auf eine einzige große Form vor fernem Hintergrund, das klare Licht und die morbiden Farben verleihen dem Motiv den Rang eines Denkmals.“ So eine Radikalität zeigte weder ein Löfftz, Lier oder Leibl. Wopfner setzte schneidend scharf feine Konturen, um Boot und Wasser voneinander abzugrenzen. Risse und eingearbeitete Holzflicken deuten auf das Alter des Einbaums hin. Bayerische Weitsicht und Metaphysik: über die letzten Dinge und Zusammenhänge!
Josef Wopfner (Schwaz/Tirol 1843 – 1927 München)
Verfolgung von Wilderern auf dem Chiemsee, 1884/87
Öl auf Leinwand, 117 x 183,5 cm, Bez. links unten: Jos. Wopfner München, Inv.Nr.: MGS 89, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
(auf dem zu sehenden Bild)
Alle Darsteller der Szene sind von einem Verbrechen betroffen und sie jagen, komme was wolle, den Übeltätern hinterher – trotz hohem Wellengang, der den See zu einem Meer verwandelt und trotz aufkommendem schweren Gewitter. Der Titel gibt den Ort der Szene an: der Chiemsee. Der Titel gibt das Verbrechen an: Wilderei. Nach Strafgesetzbuch § 293 StGB Fischwilderei gilt heute: Wer unter Verletzung fremden Fischereirechts oder Fischereiausübungs-rechts 1. fischt oder 2. eine Sache, die dem Fischereirecht unterliegt, sich oder einem Dritten zueignet, beschädigt oder zerstört, wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Die Strafe für Jagdwilderei liegt höher. Von diesem Motiv malte Wopfner gleich drei Fassungen, diese ist die zweite. Sechs Menschen bilden die merkwürdige Rudergemeinschaft. Sie besteht aus dem am Heck stehenden Gendarmen mit aufgestelltem Bajonett und dem Späher neben ihm sitzend. Es folgen zwei bäuerliche Ruderer, die trotz Verletzung ihre ganze verbliebene Kraft ausreizen. Der eine von ihnen trägt einen breiten Kopfverband. Und um die Zusammensetzung der Gruppe noch rätselhafter zu gestalten, sitzt voran – feste rudernd – eine junge Frau in sommerlicher Tracht, während am Heck ein Mann mit dem Ruder in den Grund sticht.
Johann Sperl (Buch bei Nürnberg 1840 – 1914 Bad Aibling)
Frühling im Gebirge, 1896
Öl auf Leinwand, 50,5 x 40,5 cm, Bez. rechts unten: J. Sperl, Inv.Nr.: MGS 2318,
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Es ist dieser Himmel, der in seiner zarten Weichheit beeindruckt: streng geschichtet im steilen Hochformat über die Mittellinie hinaus, von Weiß über Rosé ins Grau changierend. Es ist der geduckte dunkle Zug des Wettersteingebirges samt der fliehenden Schneeflächen unter ihm, der den Blick bindet. Es ist die Unmittelbarkeit der Almwiese bei Feilnbach, sattgrün, feucht, sich aufwölbend, durchsetzt von den ersten gelben Blütentupfen, die den Betrachter mit aufatmen lässt. Nein, es ist nicht die einzelne Bildschicht, die zählt. Die Bedeutung dieses seltenen Panoramabildes im Oeuvre Sperls steht und fällt mit seinem Begriff von schlichter Wirklichkeit. Johann Sperl sieht hier das große Ganze der Landschaft und vermittelt dies. Das Bauernhaus fügt sich. So hat es Sperl gesehen, als er dieses Freilichtbild vor Ort malte.
Saal 2
Gemalte Landstriche und Orte in Bayern des 19. Jahrhunderts
In Bayern herrscht ein staunenswertes Verhältnis von Stadt und Land. Auch bei wachsender Bevölkerung in den Orten um 1800 – München hat gerade 40.000 Einwohner – kommt es zu keiner Dominanz der Stadt oder fremdelnden Verhaltens der Städter. Das Land wird geliebt, erwandert, kartographiert, national gehegt und bleibt in enger Verbindung zur Stadt, eine gemeinsame Kulturlandschaft teilend. Die Dreifelderwirtschaft sichert zumeist die Versorgung der Bevölkerung, schützt vor größerer Krise und Erosion. Begünstigt sind Landstriche um Starnberg, im Amperland, am Schlier- und Tegernsee.
Ein Landschaftsthema ist die in der Ferne liegende Stadt bei kaum verstellter Komposition. Besonders der Blick auf München von Josef Cogels zeigt die schöne Naturlandschaft Stadt mit offenem Bildraum. Wilhelm Scheuchzer bezieht sich auf ihre topographische Expansionskraft ohne Hang zur Industrialisierung – künstlerisch gesehen als realistische Landschaft. Eine eher stilisierte, bühnenartige Auffassung des Raumes können Sie bei Wilhelm Kobell entdecken (Ständige Sammlung Saal 10 und Graphikausstellung).
Heinrich Heines Urteil über München, die Hauptstadt der „vereinigten Länder Bayerns“ seit 1508, trifft die Mentalität: ein Dorf, in dem Paläste stehen. Ab 1800 wird München großzügig als Zentrum des deutschen Klassizismus und späten Historismus durch Fischer, Klenze, Gärtner, Ohlmüller, Schwanthaler, Cornelius gestaltet und erweitert. Die Einwohnerzahl liegt 1830 bei 71.000, um 1900 bei 500.000. Maler, Verleger, Komponisten, Literaten strömen in die Kunstmetropole unter den Herrschern Ludwig I., Maximilian II. und Prinzregent Luitpold. Münchens Straßen und Bauten bleiben – in jedwedem künstlerischen Stilismus – Motivspender und zwar jahrhundertumgreifend. Der Münchner Sezessionist Gotthard Kuehl sucht zum Malen die Damenstiftskirche auf, Sion Wenban den Stachus, Friedrich Eibner das Münchner Rathaus, Max E. Ainmiller die Münchner Frauenkirche.
Den Reiz Münchens macht überdies das erschlossene Umland aus, erreichbar per pedes, per Stellwagen oder Zug. Zum Ende des Jahrhunderts kulminiert die Anzahl der Malerorte bis hin zur Bildung von Kolonien. Ein schönes Beispiel für den beliebten Aufenthalt bietet Pang, südwestlich von Rosenheim, wo Wenglein, Lier, Braith, Mali und – wie hier erfahrbar – Kandinsky wirken.
Max Emanuel Ainmiller (München 1807 – 1870 München)
Das Innere der Münchner Frauenkirche, 1837
Öl auf Leinwand, 115,5 x 87 cm, Bez. rechts unten mit Monogramm: M. A 1837,
Inv.Nr.: MGS 4499, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Aus der Münchner Kunstszene gingen im 19. Jahrhundert bedeutende Architekturmaler hervor. Von dokumentarischem Wert für die Denkmalpflege sind Werke Max Emanuel Ainmillers und Domenico (II) Quaglios bis heute. Poetischer gehalten sind die Gebäude-Spiegelungen Friedrich Eibners. Wie auf den niederländischen Kircheninterieur-Darstellungen des 17. Jahrhunderts führt Ainmiller große Tiefe, mächtige Höhe und vielteilige Ausstattung des Raumes zu einem den Einzelnen überwältigenden Ereignis zusammen: Das Innere der Münchner Frauenkirche entfaltet, farbig golden klingend, eine sphärische Sogwirkung. Vom Chor aus blickt der Betrachter gen Benno-Bogen tief in das Langhaus hin zur Orgelempore. Erhaben erscheint der Kreuzrippen-Himmel, dessen weite Perspektive die Sakramentsprozession umso mehr ins vordergründige Genrehafte drängt.
Wilhelm Trübner (Heidelberg 1851 – 1917 Karlsruhe)
Landschaft am Starnberger See, um 1908
Öl auf Leinwand, 61,5 x 75 cm, Bez. links unten: W. Trübner, Inv.Nr.: MGS 2526,
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Der gebürtige Heidelberger entdeckte München und Umgebung bereits als Gleichgesinnter des Wilhelm Leibl-Kreises. Unter seinen Landschaften befinden sich zahlreiche, die bayerische Gegenden thematisieren. Bekannt sind zum Beispiel neben dem ausgestellten Bild Schilderungen zur Fraueninsel im Chiemsee, zur dortigen Herreninsel, zum alten Schloss Herrenchiemsee, zu Feldafing. Grundsätzlich widmete sich Trübner einer großen Breite von Themen und Gattungen. Die Landschaft stand gleichrangig neben Alltagsszenen, bewegten Gruppendarstellungen, Portraits oder mythologischen Motiven. Die Vielseitigkeit mag auch Auswirkungen auf diese Komposition haben: Die Landschaft am Starnberger See arbeitet mit der Nahsicht eines Stilllebens. Fast bis zur Baumkrone angeschnitten, platziert Trübner vier Bäume am Seeufer. Sie rastern den Blick auf See und Bergzüge. Bildbestimmend ist das spitze Grün der Ufervegetation, gemalt im lockeren Duktus. Der Ansatz des Sandweges vorn lenkt kaum von der intensiven Tonalität ab, auch nicht die harmonische graubläuliche Farbwahl für das Panorama. Das undatierte Bild entstand wohl während Trübners Aufenthalt am Starnberger See im Sommer 1908. Es sind fünf Varianten dieses Motivs nachgewiesen.
Saal 3
Majestätische Alpen- und Seenwelt
Stimmungsvoll begegnet Ihnen die bayerische Landschaft in diesem Saal, bespielt mit so unterschiedlich klingendem Bildprogramm: poetisch, majestätisch, anekdotisch, wild und unheimlich. So trifft unter anderem die überzogen hochromantische Landschaft des vermeintlichen Königssees von Heinrich Heinlein auf die topographisch genau nachvollzogene, noch genremäßige Überblickslandschaft des Kochelsees von Leopold Rottmann. So trifft die Kombination von Idylle und Heroik der Berglandschaft von August W. J. Ahlborn auf den hyperromantischen Realismus der bayerischen Abendlandschaft von Anton Zwengauer.
Die Gemälde umfassen die weite zeitliche Spanne von 1816 bis 1890. Eingebunden werden Landschaftsmaler unterschiedlicher Schulen und Richtungen. So zählt ein Heinrich Heinlein neben Rottmann, Kobell und Morgenstern (siehe Ständige Sammlung) zu den herausragenden Vertretern der Münchner Landschaftsmalerei, ein August W. J. Ahlborn zu den an der Klassik orientierten Malern mit preußisch-Berliner Schulung, ein Johann H. Schilbach zum Kreis der Darmstädter Künstler mit Hang zum Kombinieren realistischer, idealer und genremäßiger Bildelemente. Was die gegensätzlichen Standpunkte und Schulen vereint, ist der Motivfundort Bayern.
Da hilft der trockene Humor des früher geborenen Heinrich Heine (1797-1856), der zu viel Stimmungslandschaft mit spitzer Zunge zu kommentieren wusste: Das Fräulein stand am Meere/Und seufzte lang und bang,/Es rührte sie so sehre Der Sonnenuntergang./Mein Fräulein! sein Sie munter, /Das ist ein altes Stück; /Hier vorne geht sie unter /Und kehrt von hinten zurück.
Heinrich Heinlein (Weilburg a. d. Lahn 1803 – 1885 München)
Bergsee mit steiler Felswand, 1860/70
Öl auf Leinwand, 53 x 72,5 cm, Bez. links unten: Heinr. Heinlein. Inv.Nr.: MGS 899,
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Das nachromantische Bild folgt einer erhabenen, majestätischen Landschaftsauffassung. Sein Maler Heinrich Heinlein wird als erfolgreicher Landschafter der Münchner Schule neben Rottmann und Morgenstern genannt. Es waren die bayerischen Alpenmotive, die ihm bereits im frühen Werk Erfolg einbrachten. Die fabulös feine Malerei erlernte Heinlein bei Gärtner an der Münchner Akademie. Der Vielreisende, ob per Floß oder per pedes, suchte Anregung in Süddeutschland, in der Schweiz und in Tirol. Die illusionistische Lichtinszenierung erhält in seinem Werk raumprägende Bedeutung. Hier erscheint das dreigliedrige Massiv im Mittelgrund vom diffusen, mystischen Licht absorbiert, zur Ideallandschaft erhöht. Dennoch bleibt ein realer Gehalt: Könnte dies der Königssee sein? Ein Gemälde dieses Titels ist jedenfalls nachgewiesen. Heinlein will beeindrucken, mit dieser zauberhaft transparenten, spiegelnden Wasseroberfläche, mit der peinlich genauen Schilderung der Strukturen der steilen Felswand links, mit der wagemutigen Konstruktion des hölzernen Steges am Fuße des Berges. Heinleins Figurationen haben die Funktion, die Größe der Naturgewalt noch zu steigern. Solch abbildbare Eindringlichkeit der Atmosphäre wurzelt in der sublimen Landschaftsidee um 1800.
Anton Zwengauer (München 1810 – 1884 München)
An den Osterseen, 1863
Öl auf Leinwand, 65,5 x 104,5 cm, Bez. links unten: Zwengauer 1863, Inv.Nr.: MGS 5503, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Die Abend- und Nachtbilder der Deutschen Romantik zeigen Folgen, die sich deren Vertreter Caspar David Friedrich und sein Kreis nicht hätten träumen lassen. In der Betonung des offenen und unverstellten Landschaftsraums gleicht das Bild einem Schauplatz gesteigerter Glückseligkeit, bis hin zum Kitsch-Bayern. Es handelt sich um ein naturbezogenes Arkadien, eine apostrophierte Naturidylle. In der Mitte steht als Assoziationsgabe der Kapitalhirsch zur Tränke, der sich wie eine Lichtgestalt in der Wasserfläche des Sees spiegelt, unter äußerst schmaler Mondsichel. Der Traumort wirkt geheimnisvoll. Die Sonne geht im See goldorange unter. Ohne den Menschen. – Anton Zwengauer, Künstler und Konservator der Schleißheimer Galerie sowie später der Alten Pinakothek München, widmete sich der Landschaftsmalerei nach der Natur, die er in Bayern und Tirol studierte und romantisierend überhöhte. Nicht von ungefähr benennen Grundlagenlexika der Malerwerke des 19. Jahrhunderts den „Zwengauer“. „Ein Zwengauer“ war ein geflügeltes Wort in Münchner Kunstkreisen. Es stand für solche Sonnenuntergänge, wie der ausgestellte, von dem mehrere Varianten existieren sollen. Das Motiv stammt von den Osterseen, der Gruppe von Gewässern südlich des Starnberger Sees.
Heinrich Bürkel (Pirmasens 1802 – 1869 München)
Die alte Pfarrkirche in Garmisch, um 1865/67
Öl auf Leinwand, 64 x 62,2 cm, Bez. rechts unten: HBÜRKEL München, Inv.Nr.: MGS 3943, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Der in holländischer Landschafts- und Tiermalerei geschulte Heinrich Bürkel, Freund Carl Spitzwegs und Adalbert Stifters, erwanderte sich selbst seine Motive. Im Unterschied zu seinen typischen Schwerpunkten wie Arbeitsdarstellung, Fuhr- und Reisewagen, Almbetrieb, Wirtshäuser, Bauernhöfe, Viehweiden, Seelandschaft, Regenschauer, Steinbrüche und Gebirgslandschaft malte Bürkel mit diesem Bild eine vielteilige, wohl von Peter von Hess inspirierte Kompositlandschaft aus Idylle an der Tränke, Architekturszene, Genre und Landschaft. Das Bild gehört zu den raren quadratischen Mittelformaten in seinem Oeuvre, von dem eine Variante nachgewiesen ist. In seinem Münchner Atelier malte Bürkel das Bild aus der Erinnerung heraus – nach Schlaganfall. Die alte Pfarrkirche St. Martin in Garmisch-Partenkirchen, wo Loisach und Partnach fließen, zeigt er mit der mittelalterlichen spitzen Turmbekrönung. Das Wettersteingebirge im Dunst wird bei Bürkel zu einer Kulisse für die über die Bergkämme hinausragende Pfarrkirche im Tal.
Saal 2a
Alpenländisches Volksleben und Alltagsszenen (Genremalerei)
Die Genremalerei gehörte zu den lukrativen Geschäftsfeldern für Künstler in der frühen Gründerzeit. Johann Sperl hatte sich bis in die 1880er Jahre eine Summe von etwa 20.000 Goldmark verdient (heute ca. 200.000 Euro).
Zu den Vertretern der Genremalerei gehört der in Wien gebürtige und Wahlmünchner Eduard Kurzbauer, der in seiner Bauernmalerei volkstümlich langatmige Erzählszenen einbaut. Seine Spielorte findet Kurzbauer in Bayrisch-Schwaben und im Schwarzwald. Das Werben um eine Braut gehört zu den Lieblingsthemen dieser Gattung. Auch Kurzbauers Bilder sind zum Beispiel betitelt mit Stürmischer Verlobungstag, Grundlose Eifersucht, Abgewiesene Freier oder Ländliches Fest.
Die moralisierende Sittenmalerei ergeht sich in harmloser Unterhaltung. Die Gesetze der Zivilehe sprechen in der Wirklichkeit eine sachliche Sprache (siehe Saal 3a). Künstlerisch hinkt die Gattung Genremalerei progressiven Entwicklungen hinterher. Das Schaffen von Johann Sperl zeigt unabhängig vom Bildthema seine malerische Güte in der Modulation und stimmigen Wertigkeit von Details in abgestimmten Valeurs. Mit kargen Interieurszenen und Nahsichtausschnitten findet Sperl einen Weg aus der figurativen Großkomposition des Sittenbildes.
Johann Sperl (Buch bei Nürnberg 1840 – 1914 Bad Aibling)
Kirchweihfest, um 1873/74
Öl auf Leinwand, 144,5 x 114 cm, Bez. rechts unten: J. Sperl, Inv.Nr.: MGS 2271,
Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Bei Entstehen des großformatigen Gemäldes ist der Maler Johann Sperl bereits seit acht Jahren in München, aufgenommen von der Münchner Akademie und im regen Austausch mit Wilhelm Leibl, Theodor Alt und Rudolph Hirth du Frênes. Das Bild ist in der letzten Phase von Sperls Akademiezeit entstanden. Mit der Wahl der Genre- und Sittenmalerei verhält sich Sperl marktgerecht und traditionell. Angesichts dieses szenischen Gemäldes ist nicht zu ahnen, dass Sperl ein Meister der Landschaftsmalerei der Münchner Schule wird. 1873/74 hält er sich u. a. in Pinzberg in Franken auf. Sperl begreift die Szene Kirchweihfest als vergnügliche Veranstaltung, wie sie sich zum Missfallen der kirchlichen Obrigkeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelt hat. Der mit Girlande geschmückte Treppenzugang zu einem Wirtshaus bildet die gesellige Kulisse eines provisorischen Verkaufsstandes. Unter dem über einem Ast abgehängten löchrigen Linnen spielt die Hauptszene der nahsichtig Dargestellten: Ein Freier, festlich gekleidet mit Pelzhut und roter Weste hält ein gesticktes Herz hoch, das sich vor dem grauen Gemäuer des Hauses abzeichnet, neben ihm seine junge Liebe im sonntäglichen Weiß (Schürze, Strümpfe) des Dirndls. Stoffe und Stickereien bieten Frau, junges Mädchen und Kind auf dem Holztisch feil.
Saal 3a
Bayern lässt staunen
Landschaftsmalerei unerwünscht!
Die Akademie der Bildenden Künste in München leitet eine folgenschwere Entwicklung ein. Sie schafft das Lehrfach Landschaftsmalerei im Jahr 1826 ab, achtzehn Jahre nach Gründung der Akademie im Jahr 1808 – zu dem Zeitpunkt als Wilhelm von Kobell, Meister der ersten Generation der Münchner Schule, aus seinem Lehramt ausscheidet. Auf Begehren des gerade angetretenen Akademiedirektors Peter von Cornelius hat es die Landschaftsklasse nicht mehr zu geben.
Erstmals eingerichtet wurde das Fach Landschaftsmalerei in München etliche Jahre zuvor, im Jahr 1808 mit dem Antritt Johann Georg von Dillis. Der Schwerpunkt der Lehre liegt jedoch auf der Historienmalerei, die durch das Landschaftsfach ergänzt wird. Selbst nach dem Ausscheiden von Dillis im Jahr 1814 aus der Akademie herrscht nicht das Bewusstsein, sich sonderlich für die Zukunft des Lehrfaches Landschaftsmalerei einzusetzen. Düsseldorf überholt München hierbei, als Johann Wilhelm Schirmer ab 1839 bis 1854 die dortige Landschaftsprofessur innehat. Erst im Jahr 1891 wird in München die Landschaftsmalerei als eigene Ausbildungsrichtung eingeführt, allerdings ohne Professur. Viele der Landschafter finden ihr Ausstellungsforum samt Kundschaft in dem 1823 gegründeten Kunstverein.
Do it yourself – Mach es selbst!
Vor allem das freiwillige Naturstudium bringt die Landschaftsmalerei voran – und die überzeugende Schönheit des Hochgebirges. Über den Werdegang von Heinrich Heinlein heißt es im Jahr 1836: In seinem neunzehnten Jahre besuchte er München, und in der Folge der größeren Unabhängigkeit ergab er sich dem alten Hange, und vielleicht durch die malerische Schönheit des bayerischen Hochlandes und Tirols bestimmt, der Landschaftsmalerei (siehe: Hauptbild von Heinrich Heinlein, Saal 3).
Selbstbewusst arbeitet ein Carl Spitzweg oder ein Heinrich Bürkel als Autodidakt – unabhängig von der Akademie. Der junge Eduard Schleich d. Ä. wird sogar von der Münchner Akademie als talentlos entlassen – und gehört später zu den großen Landschaftsmalern der Münchner Schule. Zahlreiche Maler wenden sich von der Akademie ab und betreiben das Selbststudium in der Natur, so Adolf Lier und Heinrich von Zügel.
Bayern lässt staunen
Berg und Wald
„B. und B.“ – Bayern und Bergwelt sind eine feste Größe. Ergötzen, Erstaunen, Erschaudern, Erklimmen lauten die damit verbundenen Begrifflichkeiten seit Jahrhunderten. Mit der Überblickslandschaft Hochgebirge wird über Emotionen hinaus der ästhetische Sinn für erhabene Naturschönheit bedient. Die Ideallandschaft transportiert überdies freiheitliche Gedanken.
In Bayern befindet sich der höchste Berg Deutschlands, die Zugspitze mit fast 3000 Metern. Ganz handfeste Gründe hatte die wohl erste Besteigung der Zugspitze im Jahr 1820. Sie war ein Nebenergebnis eines Vermessungsauftrages des Königlich Baierischen Topographischen Bureaus zwecks Erstellens des Atlas von Bayern. Der Deutsche Alpenverein e.V. ging aus dem 1869 gegründeten Bildungsbürgerlichen Bergsteigervereins hervor – heute ist er die größte Bergsteigervereinigung der Welt. Das Museum Georg Schäfer dankt dem Archiv des Deutschen Alpenvereins, München, für die Leihgabe der Photographien.
Bayern hat das größte Waldgebiet in Deutschland – mit heute 2,5 Millionen Hektar Waldfläche und 400 Kubikmeter Holzvorrat pro Hektar. In der Münchner Landschaftsmalerei tritt der Wald zumeist in Koexistenz mit Bergwelt, Flusslauf oder Bach auf – stimmungsvoll von roher bis sanfter Natur, im Freilicht gesehen und entmystifiziert. Ein Christian Morgenstern entwirft den poetischen, realistischen Naturausschnitt, ein Carl Spitzweg bezieht mit seinen Motiven den eher biedermeierlich freundlichen Wald (Ständige Sammlung). Um den Eigenwert des Baumes kümmern sich fast fürsorglich Eduard Schleich d. Ä. und Johann Georg von Dillis (Ausstellung und Ständige Sammlung).
Bayern lässt staunen
Recht und Gesetz
Mit dem in München erlassenen Gesetz vom 16. Mai 1868 wird der Malz-Aufschlag als Biersteuer erlassen, den die Stadt München zur Finanzierung von Straße und Brücke über die Isar verwendet.
Private Brunnen und Brunnenwerke versorgen München mit Wasser, das aus dem Grundwasser, den Quellen des Gasteigs und der Gegend bei Thalkirchen stammt. Seit 1883 erfreut sich der Münchner am gesunden Wasser aufgrund der neuen Wasserversorgung aus dem Mangfall-Gebiet. Bislang, nach einer Ratsverordnung von 1876, entleeren Münchner Latrinen und Gruben u.a. in die Isar bei Lehel. Im Glauben, dass die Selbstreinigungskräfte des Flusses ausreichen, genehmigt das Staatsministerium des Innern ab 1892 das Ableiten der Kanalisation direkt in die Isar.
Das erste Standesamt in München wird im Jahr 1876 eingerichtet. Pflicht ist fortan die Zivilehe – nach fast zweijähriger rechtlicher Erörterung bzw. einem Kulturkampf zwischen katholischer Kirche und Staat. Wilhelm Busch: Bald so wird es laut verkündet:/Knopp hat ehlich sich verbündet,/Erst nur flüchtig und zivil,/Dann mit Andacht und Gefühl. – Na, nun hat er seine Ruh.
Nach Jahrzehnten der Pressezensur regelt seit 1848 der Artikel 4, § 143 der Paulskirchenverfassung die Pressefreiheit. Kritische politische Äußerungen waren zuvor zwischen den Zeilen in Feuilletons von Zeitungen herauszulesen und an sich strafbar. In München können ab 1848 die Fliegenden Blätter politische Satire bringen. Ein Spottvers über die Zensur nach Friedrich Leopold von Stolberg lautet: Süße heilige Zensur,/laß uns gehen auf deiner Spur,/führe uns an deiner Hand,/Kindern gleich am Gängelband.
Die Durchsetzung ist Ländersache. So beruft sich die hiesige Zeitung auf das Bayerische Pressegesetz.
Zitate links und rechts (auf schwarze Stelen), Seitenwände Raum 3a:
Immer wenn man was sehen will, kommt ein Berg.
Max Liebermann 1847–1935
Auch ich war immer daheim, grub, krautete, stocherte, handhabte die Gießkanne, besah alles, was wuchs, tagtäglich genau und bin daher mit jeder Rose, mit jedem Kohlkopf, mit jeder Gurke intim bekannt. Eine etwas beschränkte Welt, so scheint’s. Und doch, wenn man’s recht erwägt, ist all das Zeugs, von dem jedes unendlich und unergründlich ist, nicht weniger bemerkenswert als Alpen und Meer, als Japan und China.
Wilhelm Busch 1832-1908
Arbeiten auf Papier
Die lichtempfindlichen Zeichnungen werden aus konservatorischen Gründen in zwei Abschnitten mit je etwa 60 Werken gezeigt.
Erste Präsentation: 5. Mai bis 28. Juli
Zweite Präsentation: 1. August bis 20. Oktober
Saal 6
Die Entdeckung der bayerischen Landschaft
1782 beklagte der Historiker Lorenz von Westenrieder (1748-1829) in seinem Aufsatz Über den Zustand der Künste in Bayern, dass die Künstler die Schönheiten der heimischen Natur nicht genug zu schätzen wüssten. Ferdinand Kobell hatte schon 1775 gefragt, ob man denn unbedingt nach Italien ziehen müsse?
Die Entdeckung der bayerischen Landschaft durch die Künstler ging um 1800 mit der zunehmenden Würdigung natürlicher Schönheit einher und dem immer lauter werdenden Wunsch, das eigene Land, dessen Natur, Brauchtum und Geschichte bildlich festzuhalten und auf diese Weise bekannt zu machen. Die bayerischen Herrscher, allen voran Maximilian IV./I. Joseph, förderten die Entdeckung ihres Herrschaftsgebietes. Auftragsarbeiten und graphische Serien wie Wilhelm von Kobells Six Dessins Pittoresques de la Bavière (1799), Simon Warnbergers 12 Ansichten von Bayern (1802) oder die Ansichtensammlung Das Königreich Bayern in seinen alterthümlichen, geschichtlichen, artistischen und malerischen Schönheiten (1840-1854) sind Zeugnisse einer schrittweisen künstlerischen Erschließung Bayerns.
Die erste Generation Münchner Landschaftsmaler machte sich um 1790/1800 auf den Weg zu eigenen Formen eines bayerischen Landschaftsbildes. Johann Georg von Dillis und Wilhelm von Kobell sind als wichtigste Vertreter dieser ersten Generation zu nennen, neben ihnen auch Max Josef Wagenbauer, Simon Warnberger und Johann Jakob Dorner. Nach und nach entfernten sie sich in ihren Bildern von schematischen und traditionellen Idealen folgenden Darstellungsweisen. Sie brachten von ihren Wanderungen stattdessen einige wundervoll intime und naturnahe Skizzen und Studien mit. Das Genre der bayerischen Landschaft erfuhr auf dem Kunstmarkt schnell große Wertschätzung und regte zu weiteren Entdeckungstouren an.
Eine zweite Generation, die zwischen 1800 und 1825 geboren wurde, hatte bereits ein Bayern-Repertoire. Künstler wie Heinrich Bürkel oder Johann Philipp Heinel zeigen liebliche und unterhaltsame Genreszenen vor gekonnt ausgeführten und stimmungsvoll in Szene gesetzten Berg- und Seehintergründen.
Bei Künstlern wie Christian Morgenstern, Carl Spitzweg, Eduard Schleich, Ludwig Voltz oder Adolf Lier entwickelte sich insbesondere in Studien und Skizzen eine sehr subjektive, vertraute Sicht auf die heimische Landschaft – ein Blick für den stillen Winkel. Die „paysage intime“ (die intime Landschaft) der französischen und englischen Landschaftskunst fand durch sie eine Übertragung auf Bayern. Die Vermittlung von Licht und Stimmung gewann an Bedeutung.
Eine dritte Generation von Künstlern, geboren zwischen 1830 und 1860, suchte noch stärker nach dem unentdeckten und wahrhaftigen Schönen, das nicht jedem sofort ins Auge fiel: Ein von hohen Pappeln gerahmter alter Bauernhof, ein von krummen Bäumen gesäumtes ausgetrocknetes Flussbett, ein Boot im bewegten Schilf oder der dicke bunte Pflanzenteppich im dunstigen Moor wurden für Künstler wie Josef Wopfner, Josef Wenglein oder Bernhard Buttersack als atmosphärisch dichte, optisch reizvolle und für den jeweiligen Ort typische Motive erwählt.
Die bayerische Landschaftsdarstellung wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts noch einmal wesentlich durch die Künstler des Leibl-Kreises geprägt, der sich um 1870 aus einer Gruppe junger Künstler formiert hatte. Wilhelm Leibl selbst lebte seit 1873 ganz auf dem Land. Das Leben in unmittelbarer Nähe zum bäuerlichen Alltag und der Natur, fernab des städtischen Treibens und des Münchner Kunstmarktes war Teil seiner Kunstauffassung von echter, ungeschönter und unverbildeter Lebensdarstellung.
Johann Georg von Dillis (Grüngiebing 1759 – 1841 München)
Bei Berg am Würmsee, 1809
Bleistift, Feder in Braun, braun laviert, 19,9 x 15,8 cm, verso bez.: Bey Berg am Würmsee/1809; Sammlerstempel RS (?) (Lugt 2239?), Inv.Nr.: MGS 1015A, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Johann Georg von Dillis gehört der ersten Generation Münchner Maler an, die die bayerische Landschaft entdeckten. Der Künstler war häufig in der näheren Umgebung von München auf der Suche nach schönen Motiven unterwegs. Würmsee ist der ältere Name des Starnberger Sees. Doch nicht der See spielt hier wie in so vielen anderen Bildern die Hauptrolle, sondern ein ansteigendes, von Klüften und Spalten durchzogenes Gelände, dessen größten Reiz die schönen Bäume ausmachen, die sich leicht gekrümmt dem Licht entgegenrecken. In duftiger Zartheit zeichnete Dillis das Laub, dessen sonnenbeschienene Partien weiß, fast wolkenartig, herausstechen. In Studien dieser Art ließ er traditionelle Formen der Landschaftsdarstellung hinter sich und fand zu einem ganz eigenen Stil, der bereits spätere Entwicklungen in Richtung eines intimen und mehr atmosphärischen Landschaftsbildes vorwegnimmt.
Eduard Schleich d. Ä. (Haarbach 1812 – 1874 München)
Waldbach zwischen Bäumen bei Fischbachau, 1855 (?)
Bleistift, Kohle, 25 x 35,3 cm, bez. links unten: Fischbachau 18/4; rechts unten Nachlassstempel, Inv.Nr.: MGS 3973A, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
60 Kilometer von München entfernt, in der Nähe des Schliersees entdeckte Eduard Schleich die Windung eines ausgetrockneten steinigen Baches als Motiv. Die felsige Kluft schneidet sich tief in die hügelige Landschaft ein. Rechts und links krallen sich Bäume in den steil abfallenden Boden. Das wenige Laub lässt erkennen, dass sich der Künstler im Frühling – der Beschriftung nach im April – hier aufhielt. Sein Augenmerk galt den besonnten und verschatteten Partien, dem Durcheinander der Steine im Bachbett und dem Nebeneinander der unterschiedlichen Strukturen von Gras und Moos, Ästen, Stämmen, Rinde.
Philipp Röth (Darmstadt 1841 – 1921 München)
Waldlandschaft bei Hartmannshofen, 1900
Aquarell über Bleistift, Deckweiß, 25,3 x 24,5 cm, bez. rechts unten: Ph. Röth; links unten: Hartmannshofen/R. 8 Oct 1900., Inv.Nr.: MGS 4107A, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Hartmannshofen, nördlich von Schloss Nymphenburg, auf dem Weg nach Dachau gelegen, ist heute ein Teil von München. Im Jahr 1900 fand Philipp Röth hier eine ruhige Waldlichtung, die er im hellen Sonnenlicht festhielt. Vier vereinzelte Baumstämme rahmen den Blick, der schon bald darauf durch eine Reihe hoher Bäume begrenzt wird. Es lässt sich erahnen, dass dahinter ein Tal folgt. In impressionistischer Weise geht die Landschaft im Licht auf. Weg und verdorrtes Gras im Vordergrund bilden eine erste Farbzone in Gelb und Ockertönen; es folgt die zartgrüne Wiese des Mittelgrundes, dann die fast transparent erscheinenden Baumkronen in Blau und Grün, darüber der hellblaue Himmel. Vertikal werden diese vier Ebenen durch die Stämme der Bäume durchbrochen, die das Sonnenlicht in verschiedenen Braun- und Gelbtönen reflektieren. Der sparsame Einsatz von Deckweiß unterstützt im Vordergrund den Eindruck gleißenden Lichts.
Saal 6
Malernester
Manche bayerischen Orte zogen die Künstler ganz besonders in ihren Bann und ließen Künstlerkolonien wachsen. Ob aus München, Hamburg, Berlin, Düsseldorf oder Wien angereist, viele Maler und Zeichner verbrachten ihre Sommermonate gemeinschaftlich auf dem Land. Einige von ihnen wurden dauerhaft ansässig.
Dachau etablierte sich seit den 1830er Jahren als Künstlerkolonie. Einer der ersten „Entdecker“ war Johann Georg Dillis im Jahre 1834. Ihm folgten u. a. Eduard Schleich und Carl Spitzweg, Christian Morgenstern, Adolf Lier, Dietrich Langko, Josef Wenglein, Josef und Ludwig Willroider, Wilhelm Leibl, Johann Sperl, Max Liebermann, Lovis Corinth, Max Slevogt, Fritz von Uhde, Heinrich Zügel, Leopold von Kalckreuth, Bruno Paul, Olaf Gulbransson, Adolf Hölzel, Ludwig Dill und Arthur Langhammer. In Dachau ließ es sich günstig leben. Malerische Häuser und die typische Tracht, sanfte Hügel und Wiesen, ein ausgeprägter Wechsel der Jahreszeiten und vor allem das Dachauer Moos in seinen verschiedenen Stimmungen boten sich dem Künstlerauge dar.
Eine andere große Künstlerkolonie entstand seit 1828 am Chiemsee (mehr hierzu in Saal 8). Wurde ein Ort allmählich zu überlaufen (von Malern und Touristen), suchten die Künstler sich teilweise neue, noch unentdecktere Ziele, wie Brannenburg oder Langenpreising. Doch auch diese Orte sprachen sich meist schnell herum, so dass das ungestörte Wirken und das Monopol auf die neuen Motive nicht lange anhielten.
Josef Wenglein (München 1845 – 1919 Bad Tölz)
Herbstlandschaft (bei Dachau?), undatiert
Aquarell und Deckfarben, 33,8 x 48,6 cm, sign. links unten: J. Wenglein fc, Inv.Nr.: MGS 2185A, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Die Aquarelle und Gouachen Josef Wengleins gehören zu den schönsten atmosphärischen Schilderungen der bayerischen Landschaft. Der Vordergrund dieses Wasserfarbenbildes gleicht einem dicken farbigen Teppich in Braun-, Violett- und Grüntönen, aus dem ockerfarbene Büsche und vereinzelt ein Baum herausragen. Fast abrupt endet die vordere Ebene; dahinter steigen die bewaldeten Berge an. Weißgrauer Dunst hängt über den blaugrauen Wipfeln. Nur ganz oben rechts lichtet sich die Wolkendecke und lässt ein Stückchen blauen Himmel erkennen.
1905 schrieb Arthur Roeßler über die Reize der Landschaft bei Dachau: Der Boden geht „in der Nähe Dachaus gänzlich in das tiefe Dunkel des Torfes über“, „hell, silbrig spiegelnd, schlängeln sich die Wasser der engen Kanäle durch das Moor. Wie ausgeblichenes Gold schimmern matt die weiten Wiesen im Frühling und im Herbst. Zuweilen sind sie umzogen von dunkleren Flächen, den violettbraunen Heidestrecken. […]. Über dem all hängt meist ein schwerer Himmel […].“
Fritz Schider (Salzburg 1846 – 1907 Basel)
Leibls Haus in Kutterling, nach 1892
Aquarell über Bleistift, 35 x 25 cm, monogr. links unten: FS; bez. rechts seitlich: Kutterling. Leiblhaus., Inv.Nr.: MGS 2220A, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Fritz Schider lernte Wilhelm Leibl 1868 kennen, nachdem er an die Münchner Akademie gekommen war, und schloss sich dem Künstlerkreis um ihn an. 1873 heiratete er Leibls Nichte Lina Kirchdorffer. So blieb der Kontakt bestehen, auch nachdem Leibl München den Rücken gekehrt hatte.
Leibl brauchte die Nähe zur Natur und zum Landleben für seine Arbeit. 1892 mietete er gemeinsam mit Johann Sperl ein Bauernhaus in Kutterling. Das kleine Dorf lag etwa zweieinhalb Stunden Fußweg von Aibling entfernt, wo Leibl seit 1881 wohnte.
Schieder besuchte ihn dort. Er selbst lebte zu dieser Zeit in Basel. Zwischen leuchtenden Grüntönen des Rasens und der Bäume, mit roten Balkonblumen geschmückt stellt sich dem Betrachter eine typische Bauernhausfassade im Sommerlicht entgegen. Die Bezeichnung am rechten Rand – „Kutterling. Leiblhaus.“ – weist es schon zu dieser Zeit als Denkmal für einen bedeutenden Künstler aus.
Julius Mayr schrieb über die typischen Kutterlinger Häuser: „Die Bauart all dieser Häuser ist die breite und behäbige des bayerischen Oberlandes, Wohnung, Stall und Scheune unter einem Dache, mit Blumen geschmückte Lauben vor dem oberen Stockwerk.“ (Mayr 1935).
Saal 5
In den Bergen
Albrecht von Haller schrieb 1729 seine verherrlichende Dichtung über die Alpen. Lorenz von Westenrieder drückte seine Begeisterung 1780 mit folgenden Worten aus: „[…] voll Licht und Schnee steigen wieder Berge empor und empor, noch höher und immer höher, Alpen auf Alpen! Herrlich! Herrlich! Nie saß ein König auf einem prächtigeren Thron, als ich hier sitze und weit umher in Gottes Welt herum schaue, ich, auch ein Erdenkönig, – ein Mensch!“ Für Goethe war das Gebirge, das er 1786 auf dem Weg nach Italien sah eine Offenbarung: „Nun ging mir eine neue Welt auf.“
Die Bergwelt vermittelte das Gefühl des Unermesslichen. Im Gegenüber mit der Größe, Gefahr und Ewigkeit erlebte sich der Mensch winzig und unbedeutend, konnte zugleich aber auch die Schönheit und Losgelöstheit vom täglichen Treiben empfinden.
Ende des 18. Jahrhunderts setzte die wissenschaftliche Erkundung der Erdentstehung ein, durch die die Berge in neuem Licht als Teil der Menschheitsgeschichte gesehen wurden. Doch selbst im Bereich der Wissenschaft löste das alpine Erlebnis große Gefühle aus. So schrieb der Naturforscher Franz von Paula Schrank (1747-1835), der sich der Erschließung der Berchtesgadener Alpen widmete und 1783 eine Alpenreise unternahm, dass er den Anblick des Watzmanns als „seelenerhebend“ empfunden habe und in den Bergen „so ganz Gefühl, so ganz im Taumel der Wonne“ gewesen sei.
Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurde das Gebirge ein beliebtes Ziel der „Sommerfrischler“. Es zog Arm und Reich in seinen Bann. König Maximilian II. unternahm 1858 eine sogenannte Fußreise durch die bayerischen Berge, um sein Land zu entdecken. Seine Frau Marie war eine der ersten prominenten Bergsteigerinnen. 1865 schrieb Heinrich Noë (1835-1896) in seinem Bayerischen Seebuch über Murnau: „Man begegnet einem regen Verkehr von solchen, die nach den Bergen gehen oder aus ihnen kommen.“ Unter ihnen befand sich sicher der eine oder andere Künstler. Von der Benediktenwand und dem Wendelstein in den Bayerischen Voralpen, über Kampenwand, Hochfelln und Hochgern in den Chiemgauer Bergen, den Göll in Berchtesgaden, bis zum Wettersteingebirge, Karwendel und Kaisergebirge in den Nördlichen Kalkalpen blieb kaum eine gebirgige Erhebung ohne Darstellung. Künstler wie Eduard Schleich d. Ä. scheuten selbst keine Mühe und kein Wagnis und begaben sich in höchste Höhen.
Heinrich Bürkel (Pirmasens 1802 – 1869 München)
Am Brunnen vor einem Bauernhaus im bayerischen Hochland, um 1845
Aquarell, Deckweiß über Bleistift, 21,2 x 25,1 cm, bez. links unten: HBÜRKEL. (ligiert), Inv.Nr.: MGS 65A, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Bergidyll trotz Arbeit: Heinrich Bürkel schuf in den Jahren um 1845 eine ganze Serie mit diesem Motiv. Die hier gezeigte und der Wirklichkeit sehr nah kommende Perspektive auf das Wettersteingebirge ergibt sich von einem Standpunkt etwas oberhalb von Garmisch-Partenkirchen in Richtung Kreuzeck.
Vor zwei mehrstöckigen Bauernhäusern scheint sich das gesamte Leben am Brunnen abzuspielen. Hier treffen sich die Frauen zum Waschen, ein Bauer lässt sein Pferd trinken, ein Hütejunge treibt seine Kühe vorbei, die ins Rangeln kommen. Auch Hühner und Ziegen beleben den Vordergrund. In zarten Blau- und Grautönen erhebt sich im Hintergrund das mächtige Gebirge.
Eduard Schleich d. Ä. (Haarbach 1812 – 1874 München)
Landschaft am Hohen Göll mit verschilftem See, um 1845
Bleistift, 26,2 x 37,8 cm, Inv.Nr.: MGS 3985A, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Das Zusammenspiel von Bergen und Seen, glatter Fläche und rauen Erhebungen, Massivität und Beweglichkeit, war für viele Künstler ein reizvolles Sujet. Schleich arbeitete hier allein mit dem Bleistift die strukturellen Unterschiede des beweglichen, sich im Wind biegenden Schilfs, der nur leicht bewegten Wasseroberfläche und der starren Klüfte des Gebirges heraus. Zu den bekanntesten Bildern vom Hohen Göll gehört die Interpretation von Carl Rottmann, der die Berge vom Hintersee aus malte.
Saal 7
Bayerische Städte und Orte
Knoten- und Ausgangspunkte zu einer Entdeckung Bayerns und Frankens waren die Städte und Orte. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts erschienen Reiseführer wie Adrian von Riedels Reiseatlas von Bayern (1796), Joseph von Obernbergs Reisehandbuch Reisen durch das Königreich Bayern (1815) oder August Lewalds Panorama von München (1835). Ludwig Steub veröffentlichte ab 1840 seine Bayerischen Aufsätze in der Allgemeinen Zeitung, die einem breiten Publikum die Reize Bayerns, seiner Landschaften, Städte und Orte, nahe bringen sollten. Mit Erfolg: Seit den 1830er Jahren strebten die Münchner vermehrt zur Erholung in die kleinen nahe gelegenen Orte des Umlandes, nach Bogenhausen, Föhring, Harlaching, Schwabing, Schleißheim, Dachau und Starnberg. Künstler begleiteten sie, etwa Johann Georg von Dillis, und kamen mit ihren Bildern dem Interesse des Publikums nach schönen Ansichten der beliebten Orte entgegen, so Wilhelm von Kobell mit seinen Sieben Ansichten aus der Umgebung Münchens (um 1818).
Einige Dörfer und Städtchen wurden durch ihre günstige Lage an Seen, in den Bergen oder in unmittelbarer Nähe zu besonders malerischen Landschaften zu Brennpunkten der Kunst, an die es ganze Künstlergemeinschaften zog, so dass sich bisweilen Künstlerkolonien entwickelten, zum Beispiel in Dachau, Brannenburg, Prien, Polling, Langenpreising oder Bernried.
Eines der schönsten Ansichtenwerke von Franken ist die 1839 herausgegebene Mappe Das malerische und romantische Franken, für das der Leipziger Verleger Wigand Ludwig Richter gewonnen hatte. Richter zeichnete Kitzingen, Mainberg, Wertheim, Bamberg, Coburg, den Kreuzberg und Würzburg. Der Wiener Künstler Rudolf von Alt ergänzte die Folge um eine Ansicht von Bad Kissingen.
Die Romantik und die mit ihr verbundene Begeisterung für die gotische Baukunst und das Mittelalter, aber auch der Geniekult um Albrecht Dürer und Hans Sachs, bescherten der Stadt Nürnberg zu Beginn des 19. Jahrhunderts eine Wiederentdeckung. Die Stadt lag zudem günstig auf dem Reiseweg vom Norden in den Süden. Aufgrund seiner malerischen Schönheit und Ausstrahlung, die die Besucher in die Vergangenheit zurück versetzte, löste auch Rothenburg ob der Tauber bei Reisenden und Künstlern Begeisterung aus.
Wilhelm von Kobell (Mannheim 1766 – 1855 München)
Reiter am Isarufer vor München, 1837
Aquarell, Feder in Grau über Bleistift, schwarz gerändert, auf Karton montiert, 13,9 x 17,3 cm, bez. rechts unten: WilhelmvKobell (ligiert) 1837/in München, Inv.Nr.: MGS 19A, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Drei Reiter begegnen sich vor dem Panorama Münchens. Die Szene im Vordergrund und die Stadt werden durch das blaue unbewegte Band der Isar getrennt. München ist fast als Silhouette wiedergegeben. Die Dächer und Türme heben sich von weißblauen Wolken ab, die sie wie eine Aura hinterfangen. Genau zwischen den beiden Reitergruppen erkennt man die Frauenkirche. (Kuppel und Türme der Theatinerkirche fehlen.)
Kobell fand in seinen „Begegnungsbildern“ der späten 1830er Jahre zu einem hohen Maß an Vereinfachung und Abstraktion und mit seiner Darstellungsweise, aber auch den Motiven, zu einem einzigartigen, leicht wiedererkennbaren Stil, der von Ruhe, Harmonie und lichter Klarheit geprägt ist.
Carl Haag (Erlangen 1820 – 1915 Oberwesel)
Die Frauenkirche zu Nürnberg, 1850 (?)
Aquarell, 62,5 x 44,2 cm, sign. rechts in der Tür des Marktstandes: Carl Haag, Inv.Nr.: MGS 1952A, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Die Wiederentdeckung der gotischen Baukunst und der Werke Dürers im Zuge der Romantik führten zu einer Wiederentdeckung Nürnbergs durch die Künstler. Goethe, Herder und Schiller, Wilhelm Heinrich Wackenroder und Ludwig Tieck, Clemens Brentano, Achim von Arnim, Joseph von Eichendorff oder E. T. A. Hoffmann besuchten die Stadt und schrieben über sie. Domenico Quaglio, Johann Adam Klein oder Johann Christian Xeller zeichneten und malten ihre Bauten.
Der unweit von Nürnberg geborene Carl Haag, der zu den großen Aquarellisten seiner Zeit gehört, schildert auf seinem großformatigen Bild die Einbindung der gotischen Architektur der Frauenkirche in das alltägliche Marktleben. Von Nordwesten fällt der Blick auf die prachtvolle Fassade mit der Eingangshalle, dem darüber liegenden Michaelschor, dem Staffelgiebel und dem oktogonalen Dachreiterturm. Die Westfassade der 1359 geweihten Kirche erlebte zwischen 1818 und 1835 Restaurierungen im Sinne der Neugotik.
Haag gibt die Feinheiten der Architektur, Licht und Schatten sowie die Farben äußerst genau und fein differenziert wieder. Verschiedene Figurengruppen beleben den Platz, führen den Blick des Betrachters aber auch über den Platz und von beiden unteren Ecken des Blattes jeweils zum Eingang der Kirche. Vom Bettler bis zum Fürsten – so meint man aus der prächtigen Kutsche zu schließen – ist das Gotteshaus ein Zentrum und Anziehungspunkt der Gesellschaft. Rechts in der Ferne erkennt man gerade noch die Türme von St. Lorenz.
Der Künstler unternahm 1850 eine Rheinreise und kam im Anschluss nach Nürnberg, wo er den Winter über malte. Vielleicht ist das Blatt in dieser Zeit entstanden, zu der auch die Schutenhüte passen würden.
Saal 8
Am See
Neben den Bergen zogen die bayerischen Seen Künstler und Reisende an. Zu den ersten Texten, die den „Bayern-Tourismus“ ankurbelten, gehören Lorenz von Westenrieders Beschreibungen vom Chiemsee und Starnberger See aus den Jahren 1781 und 1784. Schon im 17. Jahrhundert war der damals noch unter dem Namen Würmsee bekannte Starnberger See ein Ausflugsziel des Münchner Hofes.
Im Gefolge der Wittelsbacher kamen um 1800 Maler wie Johann Georg Dillis oder Wilhelm von Kobell an den Tegernsee. Ammer-, Kochel-, Walchen-, Schlier- und Königssee lockten ebenfalls zu Studien und Ansichten. Seit 1854 fuhr die Eisenbahn von München aus zum Starnberger See, seit 1860 zum Chiemsee, seit 1883 zum Tegernsee, seit 1888 nach Berchtesgaden und seit 1898 zum Kochelsee und erleichterte die Anreise.
Manche Seen ließen an ihren Ufern Künstlerkolonien entstehen, insbesondere der Chiemsee. Zwischen Inn und Salzach am Fuße der bayerischen Alpen gelegen, bot er mit seinen Inseln und den schönen Blicken ins Umland ideale Motive. Der Hauptanziehungspunkt war die Fraueninsel mit ihrem Kloster, den kleinen Fischer- und Bauernhäusern, Einbäumen am schilfbewachsenen Ufer, Hopfengärtchen und buntem Blumenschmuck. Als „Insel-Entdecker“ gilt der Maler Maximilian Haushofer, der 1828 erstmals auf die Fraueninsel kam. Schon 1836 zog es mehr als 20 Künstler an den Chiemsee, nicht nur aus Bayern, sondern auch aus Düsseldorf, Berlin, Hamburg und dem Ausland. Bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts besuchten ihn Eduard Schleich d. Ä., Peter von Hess, Andreas Achenbach, Friedrich Voltz, Adolf Lier, Christian Morgenstern, Carl Rottmann, Hans von Marées, Hermann Baisch, Eduard Grützner, Josef und Ludwig Willroider, Josef Wenglein, Wilhelm Trübner, Wilhelm Leibl, Johann Sperl, Leo Putz und viele andere. Manche Maler wurden hier heimisch und spezialisierten sich fortan auf die Motive des Chiemsees, so Karl Raupp und Josef Wopfner.
Am Ammersee war es noch bis um 1880 deutlich stiller, was Künstler wie Schleich, Spitzweg oder Leibl zu schätzen wussten. Der Walchensee erlangte durch die Bilder Lovis Corinths in der Kunstwelt Berühmtheit. Corinth schuf bis zu seinem Lebensende etwa 60 Gemälde und ungezählte Papierarbeiten, die das wechselhafte und faszinierende Gesicht des von Bergen gerahmten Sees unter dem Einfluss der jeweiligen Stimmung des Malers zeigen. In der Sammlung des Museums Georg Schäfer befinden sich zwei dieser Arbeiten auf Papier.
Johann Philipp Heinel (Bayreuth 1800 – 1843 München)
Fischerfamilie am Chiemseeufer, 1833
Aquarell und Deckweiß, 21,5 x 28 cm, monorgr. u. dat. am Heck des Bootes: 18.PH.33, Inv.Nr.: MGS 349A, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Vor der lichten, freundlichen Aussicht auf den Chiemsee lässt uns Heinel an einer kleinen Familienszene teilhaben. Eine junge Frau sitzt auf einem Stein am Ufer. Das kleine Kind auf ihrem Schoß begrüßt mit erhobenen Ärmchen den mit seinem Holzkahn anlegenden Fischer, vielleicht den Vater, der ihm zwei Seerosen entgegenhält. Die etwas größere Schwester ist zeitgleich gestolpert. Ihr Fall erschreckt die Enten, die sich ins Wasser flüchten.
Josef Wopfner (Schwaz/Tirol 1843 – 1927 München)
Heuboot im Sturm auf dem Chiemsee, 1887
Tusche über Bleistift auf graugelbem Papier, 25,1 x 18 cm, sign. u. dat. rechts unten: J. Wopfner/1887; Sammlerstempel GE (Gustav Engelbrecht); verso mittig bez.: Jos. Wopfner/Heuschiff am Chiemsee, Inv.Nr.: MGS 699A, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Bei stürmischem Wetter und peitschendem Regen wird das kleine mit Heu beladene Boot von den Wellen so hoch geworfen, dass man ein Kentern befürchten muss. Der Bug scheint im nächsten Moment unterzutauchen oder auf Grund zu schlagen. Die Insassen ringen mit ganzem Körpereinsatz, dies zu verhindern und wirken dabei wie auf einer Wippe. Kompositorisch setzte der Künstler das Boot als Diagonale ins Bild.
Wopfner zeichnete und malte solche dramatischen Szenen im Kontrast zu ruhigen und idyllischen Bildern vom Chiemsee. Das Motiv Stürmische Überfahrt erscheint in seinem Œuvre seit den 1880er Jahren.
Lovis Corinth (Tapiau/Ostpreußen 1858 – 1925 Zandvoort/Holland)
Schöner Morgen am Walchensee, 1919
Aquarell auf Bütten, 21,5 x 27,8 cm, bez. unten mittig: Schöner morgen/Walchensee Lovis Corinth, Inv.Nr.: MGS 1265A, Museum Georg Schäfer, Schweinfurt
Im Juli 1918 reiste die Familie Corinth erstmals nach Urfeld am Walchensee. Der See begeisterte sie so sehr, dass Charlotte Berend-Corinth den Bau eines eigenen Hauses in Angriff nahm, das bereits 1919 bezugsfertig war. Lovis Corinth arbeitete hier in den Sommermonaten bis 1925 fieberhaft und malte den See in immer neuen Varianten und Stimmungen, die sowohl die wechselnden Wetter- und Lichtverhältnisse als auch seine eigene Gemütsverfassung spiegeln. Er schrieb am 30. März 1921 über seine Eindrücke: „Der See selbst wechselt in rätselhaften Farben und Stimmungen. Bald blitzt er wie ein Smaragd, bald wird er blau wie ein Saphir und dann glitzern Amethyste im Ring mit der gewaltigen Einfassung von alten, schwarzen Tannen, die sich noch schwärzer in dem klaren Wasser spiegeln. Darüber breitet sich das Hochgebirge der bayerischen Alpen und wieder über dem Ganzen in dunstiger Ferne und silbrigem Schimmer der gewaltige Wetterstein […]. Wunderschön ist der Walchensee, wenn der Himmel schön ist, aber unheimlich, wenn die Naturgewalten toben […]. Man nennt ihn den Selbstmördersee. Ein kleiner Schuppen mit vernagelten Fenstern steht im versteckten Tal; da werden die Opfer des Sees geborgen. Die schwarzen Spiegelungen auf dem Wasser verhelfen nur, das Unheimliche noch grauenhafter zu machen.“
Das Aquarell des Museums Georg Schäfer zeigt den See in friedlicher Morgenstimmung. Nass in nass, vermutlich in kürzester Zeit, hielt der Künstler die Farb- und Lichtstimmung fest, bei der Wasser, Berge und Himmel kaum noch Konturen haben und ganz in der Farbe aufgehen, in Rot, Lila und Blau. Einige kräftige Hauptlinien, die Rundungen der Berge und des Ufers, sowie wenige dunkle Schattenpartien geben die Struktur vor, das Weitere ist ein Zusammenspiel aus Pinselbewegung und der Verteilung der Farbe auf der feuchten Oberfläche des Papiers, die eigene Strukturen erschafft. Zwei Stimmungen fließen ineinander, die Stimmung der morgendlichen Landschaft und des Malers.
Corinths Walchensee-Bilder verkauften sich ausgesprochen gut. In seiner Selbstbiographie schrieb der Künstler: „Jeder Berliner wollte ein Bild aus jener bayrischen Gebirgsecke besitzen, und so kam es, dass ich nebst dem Stilleben ein Spezialist für diesen schönen Winkel vom Walchensee wurde.“ (Lovis Corinth: Selbstbiographie, Leipzig 1993, S. 207.)
Karin Rhein, Graphische Sammlung Museum Georg Schäfer
Konzept und Texte Arbeiten auf Papier
Sonderveranstaltung
Donnerstag, 26. September 2013, 19 Uhr
Autorenlesung mit Wilhelm Genazino
Ein meisterlicher Beobachter – und das am Main
Wilhelm Genazino liest am 26. September 2013 im Museum Georg Schäfer Schweinfurt aus „Tarzan am Main“
Auf Einladung des Museums Georg Schäfer kommt einer der besten deutschsprachigen Schriftsteller nach Schweinfurt: Wilhelm Genazino.
Wilhelm, geboren 1943 in Mannheim, lebt in Frankfurt am Main. Er wurde mit den bedeutendsten Literaturpreisen ausgezeichnet, zum Beispiel mit dem Georg-Büchner-Preis oder dem Kleist-Preis. Sein Werk erscheint im Hanser-Verlag, zuletzt die Romane „Das Glück in glücksfernen Zeiten“, „Wenn wir Tiere wären“, „Idyllen in der Halbnatur“ und „Tarzan am Main. Spaziergänge in der Mitte Deutschlands“ (2012).
Wilhelm Genazino ist ein Meister der Beobachtung des unscheinbaren Alltags. Er, der „Tarzan am Main“, macht sich auf den Weg, die Stadt, den Fluss und vor allem die Menschen zu erkunden. Und er bringt es fertig, Kleinigkeiten mit kluger Genauigkeit und Witz zum Leuchten zu bringen. Wilhelm Genazino erzählt auch von seinem eigenen Weg durch Frankfurt, von der frühen Zeit als „Pardon“-Redakteur und von seinem schriftstellerischen Prozess. Der Leser folgt mit großer Freude den Spuren des Autors, der die Augen für die scheinbaren Banalitäten des Alltags öffnet.
Wilhelm Genazino liest am Donnerstag, 26. September 2013, um 19 Uhr, im Museum Georg Schäfer. Die Lesung setzt einen besonderen Akzent zur Landesausstellung „Main und Meer“.
Karten zum Preis von 8 Euro (ermäßigt 6 Euro) an Museumskasse.
Museum Georg Schäfer, Brückenstraße 20, 97421 Schweinfurt am Main
Tel: +49 (0) 9721-51 4820, Fax: +49 (0) 9721-51 4831
E-mail: mgs@schweinfurt.de, www.museumgeorgschaefer.de
Öffnungszeiten: Di – So 10 – 17 Uhr, Do bis 21 Uhr
Katalogbestellung unter mgs@schweinfurt.de oder Tel. 09721/514820
Informationen: Sigrid Bertuleit, Museumsleitung
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